Auf geht’s zum Rudern in die Anden!
Im Rudersport winken außergewöhnlichen Karrieren. Wenn etwa ein Neuling einen Coach sucht, um olympiafit zu werden, in diesem Fall ein ganzes Land. Porträt eines Ruderpioniers.
Er misst 1,85 Meter – na und? In Kolumbien drehen sich die Menschen nach Luis Buslay um. So groß, das ist dort ein Hingucker! Dabei ist das Außergewöhnliche an dem 32-jährigen Düsseldorfer etwas Anderes: Er soll das südamerikanische Land im Rudern aufbauen, international wettkampffähig machen, aufs Olympiatreppchen führen. Obwohl doch erst 2012 die ersten Ruderboote aufs Wasser gingen ...
Na und? Buslay, ruderisch rund um Rhein und Ruhr sozialisiert, Typ Macher und unkompliziert, findet das eine erfüllende Herausforderung – und nimmt dafür auch den nervigen Papierkrieg mit Behörden um Verträge und Visum in Kauf. Er blickt auf 15 aktive Jahre in Deutschland zurück, errang rund um den renommierten Ruderclub Germania Düsseldorf Meisterschaftstitel, erwarb sich als Trainer Respekt.
Rudern am Äquator
Da meldete sich ein alter Clubkamerad, mittlerweile Leiter der Deutschen Schule im kolumbianischen Medellín: Ob Luis nicht als Ausbilder herüberkommen wolle? Auf einem nahen Stausee auf der Andenkordillere, 1925 Meter hoch, sechs Längengrade nördlich des Äquators, herrschten ideale Ruderverhältnisse.
Ganzjährig 19 Grad Celsius, windarm, Regen meist nur in der Nacht. Die Schule hatte Zugang zu einer 30 Boote starken WinTech-Flotte. Sie war für eine überregionale Sportveranstaltung angeschafft worden und verlangte nach Einsatz. Luis stellte eine Bedingung. Erst wollte er sein Physikstudium beenden. Dann ging es richtig los.
In vier Jahren hat der Rheinländer Kolumbiens ersten olympischen Ruderstützpunkt aufgebaut. „Villa Nautica“ am Ort Guatapé liegt an einem 1970 gefluteten Tal, überragt von einem 220 Meter hohen, ellipsenförmigen Gesteinskörper. Ein dunkler Monolith, 66 Millionen Tonnen schwer, in die grüne Andenlandschaft gerammt; Herkunft unbekannt.
Kulturelle Hürden
Hier trainiert Luis die Jugendlichen der Region sowie Schüler der Deutschen Schule. Die Jungs und Mädchen sind talentiert, wenngleich der Deutsche sich an unerwarteten Hürden abarbeitet, eher kultureller Natur. Vor Trainingscamps muss er die Mütter der Mädchen persönlich, mit Engelszungen und viel Diplomatie überzeugen, dass sie ihre Töchter gemeinsam mit Jungs im Lager übernachten lassen, ohne ihre Aufsicht. Bei enthusiastischen jungen Männern, die sich bereits als Olympiasieger sehen, muss Luis dämpfen. Wer klein ist und kurze Hebel hat, reine Physik, tut sich in der Elite schwer. Luis ist geradeheraus, was hier als unfein gilt – Einheimische sprechen durch die Blume.
Standort in Medellín
Alles keine grundsätzlichen Probleme: Kolumbiens Sportfunktionäre sind fest entschlossen, auch wenn es dauern mag, nach olympischen Rudermedaillen zu greifen. Dafür haben sie den Germania-Mann unter Vertrag genommen. Der hat vorerst immer noch ordentlich Aufbauarbeit zu leisten. Zur Teilnahme an internationalen Meisterschaften muss das Land eine Föderation gründen, bestehend aus drei Ligen mit je drei Clubs.
Der zweite Club, der „Drachen Club“, ist bereits gegründet. Der dritte entsteht derzeit in der nahen Drei-Millionen-Metropole Medellín, als „innovativste Stadt“ ausgezeichnet und eine der modernsten Städte Lateinamerikas. Derzeit bettet die Stadt ihren Fluss in eine attraktive Parklandschaft ein. Ruderboote dort wären eine Zier.
Mit Medellíns Germania Ruderclub, so der Name, wäre die erste Liga perfekt, freut sich Luis. Seine Arbeit ist mühsam. Der Pionier sieht sich eher als Rudermissionar in dem riesigen, in vielerlei Hinsicht widersprüchlichen Tropenland. Seine Grenzen sind Karibik, Amazonas, Pazifik.
Große schlaksige Kerle
Ein reiches Land mit der größten Biodiversität der Welt, dennoch in Armut und einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg verstrickt. Nach dem Friedensschluss strömen jetzt Reisende ist das touristisch weitgehend unentdeckte Land mit imposanten Naturschönheiten, pittoresker Folklore, charmanten Bewohnern.
Rudern hat in dem sich öffnenden und sportlich schon immer ambitionierten Land mit 40 Millionen Menschen Zukunft. Da könnte der Rudermissionar den richtigen Riecher gehabt haben. Große Ruderpotenzial sieht er an der Pazifikküste, hauptsächlich besiedelt von Afrokolumbianern. Große schlaksige Kerle, zäh, mit langen Beinen und langen Armen: Traum eines jeden Trainers!
Das Gespräch mit Kolumbiens Rudercoach findet in Medellíns altehrwürdigem Hotel Nutibara statt, benannt nach dem freiheitsliebenden Indianerhäuptling, der den spanischen Konquistadoren die Stirn bot. Ja, die Stadt hat eine jahrhundertlange Konfliktgeschichte. Selbst über 20 Jahre nach dem Tod seines Drogenbarons Pablo Escobar sind dessen Name und Kokain für die meisten Menschen immer noch der Inbegriff Medellíns, „DIE Gangsterstadt“, wie Ruderkamerad Peter wähnte. Schnee von gestern.
Bildungsinstrument Rudern
Das moderne Medellín steht für wissenschaftlich-technologisches Unternehmertum. Hier entstehen neue Therapien und Medikamente gegen Alzheimer und tropische Infektionskrankheiten. Medellíns im öffentlichen Personennahverkehr eingesetzten Seilbahnen, weltweit in Ballungszentren nachgebaut, sind Botschafter des Aufbruchs ins dritte Jahrtausend.
Luis sprudelt. Über den Kampf und die Lebensphilosophie des Ruderers, das Gluckern und Rauschen am Bug – seinem persönlichen ruderischen Erweckungserlebnis bei einer Wanderfahrt.
Und: Warum Rudern den Willen diszipliniert, die Gemeinschaft stärkt. Wie sehr er, auch studienbedingt, die Physik des Ruderns verinnerlicht hat. Sein Mantra: Effizienz, mit minimalem Einsatz maximales Tempo zu machen. So gesehen ist Rudern nicht nur Sport, sondern allumfassendes Bildungsinstrument, in einem in die Weltgemeinschaft strebenden Schwellenland.
Ruderbares Bootshaus
So oder so: Der Weg zum olympischen Traum ist so steil wie die Anden rundherum. Immerhin haben sich für den Winter 2016/2017 bereits Ruderclubs aus Deutschland zu internationalen Trainingslagern angemeldet. Ein für Europäer in der Tat kuscheliger Leistungsstandort. Wenn es daheim nebelt, friert, schneit. Medellíns internationaler Airport, mit täglichen Direktflügen von Madrid, ist weniger als eine Stunde entfernt. Natürlich sind auch MRCler willkommen!
Eine ruderische Klippe des Peñol-Guatapé Stausees gilt es indes noch zu umschiffen. Er hat beträchtlichen Hub, fast wie Ebbe und Flut. Das Einsetzen der Boote ist eine Herausforderung. Auch dieses Problem hat Luis bereits gelöst, Medellíns kühnem Innovationsgeist folgend: Ein schwimmendes und ruderbares Bootshaus muss her!
Vielleicht helfen die Deutsche Schule – auch Freunde und Vereine aus der Ruderheimat, als eine Art ruderische Entwicklungshilfe in Übersee und Eigeninvestition?
Autor: Wolfgang Chr. Goede, MRC 1880 München. Der Text ist einem Artikel entnommen, der im MRC Club-Magazin „Riemen & Skull“, Ausgabe 2016 (Dezember) erschien.