11. Mai 2021 | Nationalmannschaft | von Hans Strauß

Auf dem Weg nach Tokio mit: Oliver und Heino Zeidler

In der ersten Ausgabe des neuen Formats stellen wir euch Oliver und Heino Zeidler näher vor.

Die Olympischen Spiele von Tokio rücken näher. Sechs Boote des Deutschen Ruderverbandes haben sich bisher für die olympische Regatta vom 23. bis 30. Juli 2021 auf dem Sea Forest Waterway qualifiziert. Weitere wollen bei der Nachqualifikation vom 15. bis 17. Mai in Luzern folgen. In Doppel-Interviews werden wir in den kommenden Wochen die DRV-Olympia-Boote vorstellen.

Den Anfang machen Oliver Zeidler (DRC Ingolstadt), der amtierende Welt- und Europameister im Männer-Einer, und sein Vater Heino, der ihn trainiert. Beide sprechen darüber, was Olivers kometenhaften Aufstieg ermöglicht hat, wie sie die Verschiebung der Spiele genutzt haben und wie sie Arbeit und Leistungssport unter einen Hut bringen.

Oliver, wie sieht ein typischer Tagesverlauf für dich in der Olympia-Vorbereitung aus? Alle Ruderer müssen Frühaufsteher sein, das ist klar…

Oliver Zeidler: Wenn es ein Tag ist, an dem ich arbeite, dann starte ich meistens so um 6.30 Uhr mit der ersten Trainingseinheit. Wenn das Wetter passt, auf der Regattastrecke Oberschleißheim, ansonsten auf dem Ergo. Dann mache ich mich bereit für die Arbeit, die von 9 bis 16 Uhr geht. Ich bin in der Steuerberatung für mittelständische Unternehmen und Privatpersonen tätig, aber zurzeit im Home Office. Das spart Fahrzeit. Am Nachmittag geht es noch mal für eineinhalb bis zwei Stunden an die Regattastrecke. Die Trainingsinhalte sind Rudern, Krafttraining, Laufen oder Ergometerfahren. Gegen 18 Uhr haben wir Feierabend.

Du hast deinen beruflichen Werdegang nicht in die Zukunft verschoben, sondern treibst ihn parallel zum Leistungssport voran. Wie funktioniert das?

Oliver Zeidler: Gut! Ich habe das Glück, dass mich mein Arbeitgeber unterstützt. Deloitte ist seit vergangenem Jahr auch Partner im Team Deutschland. Da passt es natürlich gut in die Firmenstrategie, wenn sozusagen ein Eigengewächs dabei ist. Ich habe eine reduzierte Stundenzahl und werde teilweise freigestellt, für die Olympia-Vorbereitung ab Juni dann komplett.

Was macht dein Plan, nach den Spielen ein Masterstudium zu absolvieren?

Oliver Zeidler: Das Studium habe ich weitergeschoben, weil es in den nächsten Jahren nicht so richtig reinpasst. Nächstes Jahr haben wir in München die Heim-EM, die für mich schon etwas Besonderes ist – 50 Jahre, nachdem mein Großvater Hans-Johann Färber in Oberschleißheim Olympia-Gold geholt hat. Und dann folgt schon die Olympia-Qualifikationssaison für die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Ich hoffe, dass ich das Studium ab Herbst 2024 noch machen kann.

Die Konstellation, dass der Vater seinen Sohn trainiert, ist im Spitzensport außergewöhnlich. Heino, wo seid Ihr beide Euch sehr ähnlich?

Heino Zeidler: Vom Charakter her. Wir sind beide ziemlich ehrgeizig und können gut auf ein Ziel hinarbeiten. Unsere Stärke ist das Miteinander. Es war von Anfang an ein gemeinsames Projekt, Olli zum Ruderer zu machen. Es hatte viele Unbekannte, wir wussten nicht, wie weit wir mit unserer Strategie und unserer Performance kommen. Ruderisch gesehen war es für Olli eine Blitzkarriere, aber trotzdem für uns ein weiter Weg, step by step und immer schön ruhig.

Und wo unterscheiden sich dein Vater und du, Oliver?

Oliver Zeidler: Boah, das ist `ne gute Frage (denkt länger angestrengt nach).

Es gibt offensichtlich nicht so viel Unterschiede. Mal anders gefragt: Raucht`s auch mal zwischen Euch beiden und wenn ja, warum?

Oliver Zeidler: Das gehört ja auch dazu. Wenn ein Training anstrengend ist, reicht manchmal ein Wort, um das Fass bei mir zum Überlaufen zu bringen. In den letzten Monaten ist das aber nicht mehr vorgekommen. Ich glaube, ich reiße mich jetzt besser zusammen.

Heino, du bist Polizeibeamter und musst das Training mit deinem Sohn ebenfalls um den Beruf herumbauen. Gibt es da ein Entgegenkommen vom bayerischen Staat für das Weltmeister-Team?

Heino Zeidler:  Seit Februar bin ich zu 50 Prozent freigestellt. Damit ermöglicht mein Arbeitgeber eine professionelle Olympia-Vorbereitung. Wir können nun noch mehr und noch besser zusammen trainieren. Die letzten drei Jahre hatte ich Olivers Betreuung nebenbei gemacht. Ich muss 40 Stunden in der Woche arbeiten, habe aber das Glück, dass ich ausschließlich im Tagdienst tätig bin und dass ich in der Gleitzeit bis zu zehn Stunden am Stück einbringen kann, ohne dass es Ärger gibt. In den Wintermonaten habe ich deshalb Stunden aufgebaut, die ich im Sommer wieder abbauen konnte.


„Ich habe auf dem Ergometer und im Krafttraining Werte gezogen, die ich vorher noch nicht geschafft hatte.“

Oliver Zeidler über sein Wintertraining


Oliver, die Verschiebung der Olympischen Spiele im vergangenen Jahr hat dich hart getroffen. Aber ich nehme an, Ihr versucht, die erzwungene Wettkampfauszeit sinnvoll zu nutzen.

Oliver Zeidler: Nach der Verlegung haben wir beschlossen, dass wir unseren Vorbereitungsplan trotzdem durchziehen- einfach um zu wissen, was da auf einen zukommt. Am 31. Juli, dem geplanten Tag des Einer-Finales in Tokio, sind wir in Oberschleißheim auch einen Belastungstest gefahren. Danach ging`s erst mal in den Urlaub. Mit der Europameisterschaft in Polen sind wir mehr oder weniger in die neue Saison gestartet – anders als andere, die scheinbar gezielt darauf hintrainiert hatten.

Die EM in Posen war dann kein so schönes Erlebnis für mich. Nach der Niederlage, die der vierte Platz nun mal bedeutete, war ich auf 180 – auch, weil ich das Podium so knapp verpasst hatte. Aber ich habe daraus viel Motivation gezogen und im Winter noch härter trainiert. Der Gedanke, dass ich so etwas nicht noch einmal erleben möchte, war mein Antrieb in den letzten Monaten. Ich habe auf dem Ergometer und im Krafttraining Werte gezogen, die ich vorher noch nicht geschafft hatte. So bin ich im Nachhinein ganz froh, dass ich dieses zusätzliche Jahr bekommen habe und glaube, dass ich diese Chance gut genutzt habe.

Bei der Neuauflage der EM im April in Varese hat sich das mit deinem überlegenen Titelgewinn nach einem Umweg über den Hoffnungslauf gleich bestätigt. Der Weltcup-Start in Zagreb war ebenfalls siegreich. Habt Ihr auch an der Technik gearbeitet, Heino?

Heino Zeidler: Jedes Jahr, in dem wir mehr Kilometer fressen können, macht Olli auch auf dem Wasser stärker. Wir haben die EM von Posen ausgewertet, um zu sehen, woran es gelegen hat, und an seiner Schlaglänge gearbeitet. Er ist jetzt viel länger im Vorderzug. Und er kriegt den Abdruck noch mal besser hin. Dass die Blätter sauber senkrecht aus dem Wasser herauskommen, damit muss man ihm im Training permanent auf den Geist gehen. Er hat so die nächste Stufe erreicht und kommt auch viel besser bei widrigen Verhältnissen zurecht. Was er in Varese technisch gezeigt hat, war eine Augenweide. So lässt sich die Power, die er sich über den Winter angeeignet hat, auch ins Wasser bringen. Dabei haben wir bei weitem noch nicht alles offengelegt. Die Goldmedaille als Motivationsschub war sehr schön, aber unsere Planung baut sich auf bis zu den Olympischen Spielen.

Euer Training findet normalerweise auf der Regattastrecke in Oberschleißheim statt, eine halbe Autostunde von Eurem Wohnort Schwaig entfernt. Bei der ZDF-Serie „Sxulls“ hat man Euch auch auf dem Starnberger See gesehen. Eine Ausnahme nur für schöne Bilder?

Oliver Zeidler: Nein, von uns aus zum Starnberger See ist es halt ein bisschen weit. Deshalb kommen wir da leider nur ein paar Mal im Jahr hin. Das Wassergefühl auf einem offenen See ist ein ganz anderes als auf einer Regattabahn.

Olli, wie konntest Du in einer absoluten Ruder-Familie eigentlich zuerst Schwimmer werden? Stimmt die Geschichte, dass du als Kind beim ersten Ruderversuch gekentert bist und dann die Nase voll hattest?

Oliver Zeidler: Die stimmt. Mein Opa hat mich mal in ein Boot gesetzt und ich fand es sehr schwierig, darin die Balance zu halten. Ich hatte schon mit Schwimmen angefangen, war relativ gut darin und habe keinen Sinn darin gesehen, die Sportart zu wechseln.

Und zum Umstieg hat dich erst die Auflösung deiner Schwimmtrainingsgruppe in München bewegt?

Oliver Zeidler: Ja, nach dem Olympischen Spielen 2016 hatten sehr viele Trainingskollegen aufgehört, die mit ihren Charakteren sehr wichtig für die Gruppe waren. Ich habe noch ein bisschen weitergemacht, aber der Spaß war weg.


„Sein Beinstoß war so stark, dass das Boot immer gesprungen ist. Da wusste ich: Wenn man das ins Wasser bringt, ist es eine Rakete.“

Heino Zeidler über Olivers Anfänge im Boot


Das Umsatteln hat sich gelohnt. In drei Jahren vom Anfänger zum Einer-Weltmeister – wenn man das in einem Spielfilm sehen würde, fände man die Geschichte ziemlich unglaubwürdig. Wie konnte Euch das gelingen?

Heino Zeidler: Das ist gewachsen mit ganz viel Geduld, aber gleichzeitig mit viel Zielstrebigkeit und Olivers Hang zur Perfektion. Bei der EM 2016 in Rotterdam sagte meine Schwester zu Oliver: „Wäre das nichts für dich?“ Dann kam er und fragte mich: „Kannst du mir das Rudern beibringen?“ Für mich hieß beibringen nur: Setz‘ ihn mal in ein Boot, vielleicht interessiert sich einer für ihn. Vielleicht muss er dann für die nächsten Schritte nach Dortmund gehen und sehen, dass er einen Partner findet. Mehr kam in meinen Gedanken nicht vor.

Im ersten halben Jahr haben wir verschiedene Boote durchprobiert, sie wurden immer besser. Seine physische Leistungsfähigkeit hat mich da schon fasziniert. Sein Beinstoß war so stark, dass das Boot immer gesprungen ist. Da wusste ich: Wenn man das ins Wasser bringt, ist es eine Rakete. Dass er Zeit brauchen würde, um die Technik zu vervollkommnen, war mir klar. Bereits nach 18 Monaten in diesem Sport ist er beim Weltcup in Belgrad überraschend Dritter geworden. Da wusste ich, es kann ganz nach oben gehen.

Was willst du in Tokio, Olli? Ich könnte mir angesichts deiner Zielorientiertheit vorstellen, dass Dir die Farbe der Medaille nicht egal ist.

Oliver Zeidler: Ich möchte mit einer Medaille zurückkommen. Aber klar, es ist in Tokio wie bei jedem Rennen: Wenn ich hinfahre, möchte ich auch gewinnen.

Deine Schwester Marie-Sophie wird den Sprung ins DRV-Aufgebot für Tokio nicht schaffen. Wie geht sie mit der Situation um, dass nur Du fahren wirst?

Oliver Zeidler: Marie ist gut damit zurechtgekommen, dass ich ins Rudern eingestiegen bin und gleich so erfolgreich war. Sie hat sich total gefreut, als ich 2019 Weltmeister geworden bin. Sie ist sehr stolz auf mich, da gibt es keinen Neid. Ich versuche, sie nach Möglichkeit zu unterstützen. Wir trainieren auch öfters zusammen.

Worauf freust Du dich am meisten, Olli, wenn Olympia vorbei ist?

Oliver Zeidler: Ich würde mir wünschen, dass ich mit einer Medaille um den Hals aus dem Flugzeug steige und die mit vielen Menschen feiern kann. Das wäre optimal und geht natürlich nur, wenn die Pandemie bis dahin im Griff ist. Aber die Aussicht auf eine Feier im kleinen Kreis mit der Familie ist auch schon ein guter Ansporn.

Zu den Personen

Oliver Zeidler (24) wohnt bei seinen Eltern in Schwaig nördlich von München. Sein größter Erfolg als Schwimmer war das Erreichen des Halbfinales bei der Jugend-Europameisterschaft über 100 Meter Freistil. Erst mit 20 Jahren sattelte er 2016 auf das Rudern um und wurde schnell zum weltweit dominierenden Athleten im Skull. 2019 wurde er Weltmeister, 2019 und 2021 jeweils Europameister. Der 2,03 Meter große und 103 kg schwere Zeidler absolvierte ein duales Bachelor-Studium im Steuerrecht und arbeitet bei einer Beratungsfirma.

Heino Zeidler (48), Olivers Vater, war selbst Leistungsruderer und deutscher Meister. Bei Weltmeisterschaften belegte er jeweils den vierten Platz. Parallel zu Olivers Werdegang absolvierte er eine Ausbildung als Rudertrainer. Zeidler ist von Beruf Polizeihauptkommissar.