09. Apr. 2013 | Nationalmannschaft | von Oliver Körting

Mit der Gelassenheit eines Siegertypen - Was macht eigentlich Jörg Puttlitz?

In unserer Serie "Was macht eigentlich...?" stellen wir Ruderer vor, die vor einiger Zeit im Deutschland-Achter erfolgreich waren, und zeigen, wie sich ihr Leben nach dem Leistungssport verändert hat.

Vor inzwischen 40 Jahren stieg Jörg Puttlitz das erste Mal in ein Ruderboot. Und noch heute fährt er jede Woche mit seinen Teamkameraden aus der aktiven Zeit über die Ruhr. Der Physiotherapeut blickt gerne auf die Erfolge zurück. Aber er hat mehr aus dieser Zeit mitgenommen als nur Medaillen.

"Auch wenn es oft schwer war, war es eine der schönsten Zeiten meines Lebens", erinnert sich der 1,98 Meter große Puttlitz. Mit dem Ruhr-Vierer, in dem neben ihm die Brüder Volker und Guido Grabow und Norbert Keßlau saßen, dominierten sie in den Achtzigern über weite Strecken die Konkurrenz.

Wie ist es, wenn sie heute zusammen rudern? "Nach zwei, drei Schlägen ist wieder alles wie früher", sagt Puttlitz. "Das ist wie nach Hause kommen. Unsere Vierer-Kombination ist eine Gemeinschaft geworden." Jeder weiß, was der andere tut. Jeder spürt, wie die Blätter der anderen ins Wasser tauchen.

Auch im Krankenhaus muss jeder wissen, was die Anderen tun

Dieses Mannschaftsgefühl hat Jörg Puttlitz für seine Arbeit übernommen. Seit inzwischen 28 Jahren arbeitet er im Dortmunder St. Josefs Hospital - inzwischen als Leiter der Physiotherapie. "Ich brauche eine Mannschaft, in der ich mich ausleben kann. Ich versuche, es hier so harmonisch wie in einer Familie umzusetzen", sagt er. Auch im Krankenhaus müsse jeder wissen, was der Mannschaftskollege macht.

Auf seiner Station müsse man Feingefühl beweisen - menschlich wie physisch: "Sowohl beim Rudern als auch hier brauchst Du Gefühl in den Fingern. Du kannst ja auch nicht einfach blind am Riemen reißen." Denn im Gegensatz zu den Kollegen am Ruderleistungszentrum sei der Ansatz im Krankenhaus ein ganz anderer. Es gibt viele ältere Patienten, die häufig andere Hintergrunderkrankungen mitbringen. "Wir haben hier absolut akut kranke Patienten, zum Teil schwer pflegebedürftige." Der Erfolg werde für ihn sichtbar, wenn er und sein Team es schaffen, den Patienten wieder auf einen vernünftigen Weg zu bringen.

Das Team leitet er nun seit 16 Jahren. Dem Krankenhaus ist er noch heute für die große Freiheit während seiner Sportlerlaufbahn dankbar. Denn 1985 steckte Jörg Puttlitz noch mitten im Wettkampfdasein. 1981 begann er eine Ausbildung zum Masseur und medizinischen Masseur, danach war er zwei Jahre lang Sportsoldat, ehe er durch die Unterstützung von Ludwig Blömeke den Job im Josefs-Hospital bekam. "Aber es war ja schwierig, weil ich oft nicht da war, wenn ich zum Beispiel im Trainingslager war. Da gab es ein paar Spannungen bei den Arbeitskollegen: Ein neuer Kollege und der ist nie da."

Krankenhaus hat ihn gefördert

Denn Puttlitz hatte eine volle Stelle bekommen, musste de facto aber nur von 10 bis 14 Uhr arbeiten. Den Verdienstausfall für das Krankenhaus übernahm die Sporthilfe und so funktionierte das Wagnis für beide Seiten. "Ohne die Unterstützung des Krankenhauses wäre das gar nicht gegangen." Denn auch Fort- und Weiterbildungen zum Physiotherapeuten übernahm der Arbeitgeber für den ehemaligen Leistungssportler.

So ging es morgens zum Training am Kanal, mittags arbeiten und danach wieder zur nächsten Trainingsschicht. Erst im Sommer 1991 war er tatsächlich Vollzeit für das Krankenhaus da. 1991 war auch das Jahr in dem sein Sohn geboren wurde. Sein damaliger Trainingspartner Karsten Schmeling erwartete sein zweites Kind. "Da verschob sich alles und wir haben uns gedacht: Jetzt ist es mal gut."

Rückblickend kamen gleich mehrere Punkte zusammen, die die aktive Karriere zum Ende führten. So kamen nach dem Mauerfall viele Sportler aus dem Osten. "Das hatte dann mit unserer idyllischen Zeit nichts mehr zu tun", sagt Puttlitz und lächelt.

Ein anderer Punkt war wohl das Karriereende seines Spezies Norbert Keßlau. Seit 1979 hatten sie gemeinsam gerudert. Im Zweier, im Vierer und 1989 auch im Achter. Zusammen haben sie fast alles gewonnen, was möglich war. "Irgendwann wird es schwer sich zu motivieren und wieder zu motivieren und wieder zu motivieren", so Puttlitz. Er suchte sich neue Herausforderungen - und hielt den Kontakt zu seinen Sportskameraden so eng wie möglich.

Gleich nach Ende der Ruderkarriere wäre Puttlitz beinahe mit einer anderen Sportart zu einer Medaille gekommen. "Sat.1 suchte im Mai '91 einen Anschieber für den Bob von Harald Czudaj. Ich habe dann versucht aus dem Ruderer einen 60-Meter-Sprinter zu machen." Ganz gereicht hat es beim Casting nicht, zwar sei Jörg Puttlitz insgesamt nicht zu langsam gewesen, aber auf den wichtigen ersten 20 Metern hat es nicht gereicht, erzählt er. "Später hat Czudaj dann mit genau dem Anschieber, den sie stattdessen genommen haben, Gold im Vierer-Bob geholt." Das wäre was gewesen, ein Ruderer im Eiskanal.

Liebe zu St. Moritz

Generell hatte Puttlitz seine Leidenschaft für Wintersport entdeckt. Mit Rollskiern trainierte er für Langlaufwettbewerbe und nahm unter anderem am Engadiner Ski-Marathon in St. Moritz teil. Das Engadin ist zu seiner zweiten Leidenschaft geworden. "Wir waren 1983 im ersten WM-Trainingslager dort und ´88 und ´89 auch zum Höhentrainingslager. Ich habe die Gegend damals sehr lieb gewonnen." Inzwischen ist er jedes Jahr dort.

An Neujahr gibt es inzwischen einen Event, der auf die Freundschaft zu Barbara Keller zurückgeht, der Frau des früheren FISA-Präsidenten Thomas Keller. Um 12 Uhr mittags heißt es schlicht: "Treffen an der Brücke." Im Achter oder Vierer rudert Puttlitz so jedes Jahr mit einigen Kollegen, Freunden oder Wegbegleitern auf dem eisigen See. Es ist ein gelassenes Zusammensein.

Diese Idylle und Gelassenheit ist etwas, das Jörg Puttlitz über die Jahre begleitet zu haben scheint. Selbst als er mitten in der Ruderkarriere stand, war kaum Platz für Hektik - die Boote, in denen er saß waren meist zu überlegen, um in ernsthafte Gefahr zu geraten. Trotzdem - oder gerade deshalb verfolgt ihn bis heute ein Moment:

Im Olympiafinale rechnet sich der Vierer ohne gute Chancen aus. Wie so oft verließ sich die Crew auf den atemberaubenden Schlussspurt und dann das: "Ich dachte, nachdem wir unseren Spurt angezogen haben, müssten wir vorne sein. Aber im Gegenteil, die Neuseeländer zogen uns davon und waren weg." Dieser Horrormoment wird Jörg Puttlitz wohl für immer im Kopf bleiben. "Sonst waren wir auf den letzten 500 Metern brutal stark." Ein Jahr später haben sie ihre Klasse wieder unter Beweis gestellt. "Da war gar kein Spurt nötig. Volker sagte noch: 'Noch 30 Schläge und nicht hochgehen.'" Da war das Rennen bereits nach 1.000 Metern entschieden.
Puttlitz als Kommentator des Olympiasieges

Auch 1989 war das Boot mit Puttlitz an Bord unschlagbar, dieses Mal war es der Deutschland-Achter. Es war die Krönung der Karriere und ist für Puttlitz die Brücke zum heutigen Achter. Denn Patienten kennen ihn noch, manche kommen sogar vom Ruderclub Hansa. "Die finden das dann toll", sagt Puttlitz. Und als im Sommer 2012 das olympische Finale des Deutschland-Achters anstand, versammelten sich Patienten und Kollegen für sechs Minuten im Warteraum. "Die Zeit habe ich mir dann genommen", sagt Puttlitz. Gleichzeitig rief sein Sohn an und er kommentierte am Telefon und vor dem Fernseher, bei dem der Ton abgestellt war, das Rennen zu Gold.

Steckbrief

Geb.-Datum: 25.08.1962
Größe: 1,98 m
Gewicht: 115 kg

Familie: verheiratet, 1 Sohn

Beruf: Physiotherapeut, Leiter der Physiotherapie im St. Josefs Hospital in Dortmund

Verein zur aktiven Zeit: Ruderclub Hansa Dortmund

Aktueller Verein: Ruderclub Hansa Dortmund

Noch aktive Sportarten: Rudern, Radsport, Skilanglauf, Laufen

Größte sportliche Erfolge als Ruderer: 10x Deutscher Meister von 1983-1988 (4-/8+/4+) 

1980 4+ Junioren-WM Hazewinkel, 2.
1982 4+ Match de Seniors (U23) Wien, 1.
1983 4- WM Duisburg, 1.
1984 4 - OS Los Angeles, 4.
1985 4- WM Hazewinkel, 1.
1986 4- WM Nottingham, 2.
1987 4- WM Kopenhagen, 7.
1988 4- OS Seoul, 3.
1989 8+ Grand Challenge Cup Henley, 1. 
1989 8+ WM Bled, 1.

Tipp für die aktuelle Generation:„Als ich die Jungs beim Goldfest gesehen habe, habe ich ihnen gewünscht, dass sie auch so etwas schaffen wie wir. Nämlich auch nach 25 Jahren noch so gut befreundet zu sein. Da spielen die Erfolge nicht mehr so eine große Rolle, sondern die Leute, die Du hast."