44. Edition der Tour du Léman à l´Aviron
Alle 22 gemeldeten Teams fanden sich am letzten September-Wochenende an der veranstaltenden Société Nautique de Genève (SNG) zur mittlerweile 44. Ausgabe der Genfersee-Regatta (offiziell „Tour du Léman á l´Aviron“) über 160 km in gesteuerten C-Vierern ein. Wie üblich war Deutschland weitaus am stärksten vertreten: Die Hälfte der Mannschaften waren deutschen Ursprungs; zudem gab es 2 internationale Renngemeinschaften mit deutscher Beteiligung. Frankreich stellte mit 4 Teams das zweitgrößte Kontingent. Daneben waren die Schweiz, Großbritannien, die Niederlande und Belgien zumindest anteilig in ein oder zwei Teams vertreten und trugen zum internationalen Flair der Veranstaltung bei.
Hinsichtlich des Rennverlaufs im vorderen Bereich erwähnenswert waren die Meldungen der auf einer Position veränderten Vorjahressieger der Renngemeinschaft (Rgm) Leverkusen/Bonn/Siegburg um das Ehepaar Jonischkeit, die mit Patrik Stöcker einen frischgebackenen Weltmeister (LM 4x-) der Titelkämpfe in Rotterdam an Bord hatten. Die Rgm Neuwied/Cannstatt/Tilburg hatte sich einen Monat zuvor beim Sieg auf der KCfW-Regatta in eine Favoritenposition gerudert. Vorne mitmischen wollten auch die in die Jahre gekommenen, mittlerweile in der Mastersklasse antretenden Streckenrekordhalter aus Cannstatt/Hamm/Nürtingen/Ulm und die auf einer Position verjüngten Altmeister aus Ludwigshafen. Die Genf-Neulinge des Karlsruher Ruder-Vereins Wiking mit kompletter Besetzung des Europäischen Hochschulmeisters im 4- stellten in diesem Jahr das „Black Horse“ der Veranstaltung mit physisch und ruderisch hohem Potential dar.
Nach der wetterbedingt auf etwa 40 km verkürzten Regatta in 2015 waren in diesem Jahr die Aussichten auf ein reguläres Rennen im Vorfeld gegeben. Die optimistischen Erwartungen wurden am Freitagabend bei der Wettervorhersage im Rahmen des von FISA-Präsident Jean-Christophe Rolland eröffneten Sektempfangs bestärkt. Laut dem TV-Meteorologen Philippe Jeanneret war nur am frühen Morgen und zu später Nachtstunde Wind geringerer Stärke zu erwarten, der aber keine nachhaltigen Auswirkungen auf die Ruderbarkeit des Gewässers haben sollten. Im Gegensatz zum letzten Jahr konnten sich die Sportler unbeschwert der Beseitigung der kulinarischen Köstlichkeiten hingeben und ihre Leistungsfähigkeit in dieser Disziplin eindrucksvoll demonstrieren – den kompletten Kahlfraß eines sehr reichhaltigen Buffets gibt es vermutlich immer nur ein Mal im Jahr im gediegenen Ambiente der heiligen SNG-Hallen...
Das Wetter war am Samstagmorgen wie versprochen, zwar zunächst noch frisch und leicht diesig, aber insgesamt sehr schön mit nur leichtem Wind und geringer Bewölkung – ideale meteorologische Bedingungen. Alle Teams waren rechtzeitig auf dem Wasser zum punktgenau 8:00 Uhr mit einem Böllerschuss erfolgenden Start. Die erwarteten Teams setzten sich auf den ersten Kilometern gleich an die Spitze: Am schnellsten startete die Renngemeinschaft aus Neuwied, gefolgt von den Startsprint-Siegern der Rgm Leverkusen/Bonn/Siegburg. Danach folgte ein süddeutsches Dreierpäckchen aus der Rgm Cannstatt/Hamm/Nürtingen/Ulm und den Vereinsteams aus Ludwigshafen und Karlsruhe, welches über die ersten 2,5 Stunden bis Rolle eng zusammen bleiben sollte. Schon vorher, vor dem Kontrollpunkt bei Nyon nach etwa 20 km, mussten die drei die rheinländische Renngemeinschaft endgültig ziehen lassen, die sich energisch auf die Verfolgung der schon leicht enteilten Neuwieder Rgm machten. Mit der deutlich schnellsten Abschnittsgeschwindigkeit zwischen Rolle und Morges fuhr die Rgm Leverkusen et al. zuerst die Lücke zu und setzte sich nach ca. 3 Stunden Ruderzeit an die Spitze. Diese Führung vor Neuwied/Cannstatt/Tilburg baute sie langsam aber stetig aus, so dass der Abstand am östlichsten Kontrollpunkt „Villeneuve“ kurz nach der Streckenhälfte bereits 3 Minuten betrug. War die Durchgangszeit in Rolle noch im Rekordbereich, so musste man bei dem Durchgang bei Villeneuve nach 6:16h konstatieren, dass das häufig unruhige, leicht wellige Wasser trotz des idealen Wetters in diesem Jahr keinen Angriff auf den Streckenrekord zulassen würde. Hinter dem Führungsduo hatte sich das Drei-Verfolger-Feld bis zu dieser Zeitnahmestelle mittlerweile deutlich separiert: Karlsruhe, das sich in den ersten 3 Stunden Bord-an-Bord mit Ludwigshafen aufgerieben hatte, musste als erstes zurückstecken und abreißen lassen. Nach 4,5 Stunden waren es dann die Ludwigshafener, welche die Kollegen aus Cannstatt/Hamm/Nürtingen/Ulm ziehen lassen mussten. Letztere lagen in Villeneuve jedoch auch schon 9 Minuten und damit aussichtslos hinsichtlich des Gesamtsiegs hinter den Führenden zurück. In den weiteren Wertungen hatten sich zu diesem Zeitpunkt die Verhältnisse z.T. schon geklärt. Nicht in der Novizen-Kategorie, wo sich die Karlsruher noch nicht sicher sein konnten, da das ebenfalls das Novizen-Kriterium der Regatta erfüllende, langstreckenerfahrene Mixed-Team aus Oldenburg als Sechste in 7:01h nur 8 Minuten zurücklagen. Oldenburgs Anwartschaft auf den Mixedsieg schien hingegen angesichts der knapp 20 Minuten Vorsprung vor den härtesten Mixed-Kontrahenten aus Bonn recht gesichert. Noch klarer war die Situation bei den Frauen: Die britisch-niederländische Rgm aus Doncester/Walton-on-Thames/York City/De Laak um die Mehrfachgewinnerinnen Hannah Peel und Helena Smalman-Smith hatte nach 7:30h Ruderzeit als Gesamtneunte die beiden anderen Frauenmannschaft bereits um mehr als eine Stunde distanziert.
Entlang der Südküste tat sich auf der Strecke zwischen Le Bouveret und Sciez fast schon traditionsgemäß eher wenig. Während es bei allen so langsam an die Substanz ging und der erhoffte Rückenwindschub ebenso ausblieb wie glatte Wasserbedingungen, veränderten sich die Abstände zwischen den ersten 3 Plätzen ungefähr proportional zu den zuvor bestehenden. So lag die Rgm Leverkusen et al. in Sciez mit 9:57h mittlerweile 6 Minuten vor der Rgm Neuwied et al., die süddeutsche Masters-Rgm folgte nach weiteren 7 Minuten. Deutlich vergrößert hatten sich allerdings die Abstände auf die folgenden Teams, bei Ludwigshafen auch aufgrund von deren Pech, von einem unaufmerksamen Angler-Motorboot bei Montreux das Steuer abgefahren bekommen zu haben und Ihr Boot durch Überziehen navigieren zu müssen. Die jungen Wilden aus Karlsruhe mussten sich auf der ungewohnten Strecke die schwindenden Kräfte einteilen und bekamen von hinten den heißen Atem des Neuwieder Vereinsteams um Tour-Instanz Andreas „Watz“ Laser und der Mixed-Mannschaft aus Oldenburg zu spüren, welche den Kontrollpunkt Sciez in der „Schweinebucht“ nur 4 bzw. 6 Minuten hinter den Karlsruhern passierten.
War der Kampf um den Gesamtsieg zu diesem Zeitpunkt nach menschlichem Ermessen eigentlich entschieden, so hat man die Rechnung ganz offensichtlich ohne den Wirt gemacht – in diesem Fall ohne Berücksichtigung des bekannt fulminanten Endspurt der Rgm. Neuwied/Cannstatt/Tilburg um Stefan Verhoeven. Mit kürzeren Ruderintervallen, hoher Schlagzahl und vollem Druck machten sie noch einmal richtig Betrieb und arbeiteten sie sich Zehner- um Zehnermeter an die zwischenzeitlich bis zu einem Kilometer vorneweg rudernde Rgm Leverkusen/Bonn/Siegburg heran. Die wiederum mobilisierte die letzten, eigentlich gar nicht mehr vorhandenen Kräfte, um den Sieg doch noch nach Hause zu bringen. Auf der letzten Rille retteten sie nach einer Ruderzeit von 12:10:30h einen Vorsprung von 24 Sekunden vor den entfesselt rudernden Konkurrenten über die Ziellinie, um diesen für ihre großartige Leistung mit außerordentlichem Finish sogleich mit einem dreifachen Hipp-Hipp-Hurra sportlichen Respekt zu zollen. Der Abstand von nur 6 bis 7 Bootslängen war die bisher knappste Entscheidung der Regattageschichte bei Absolvierung der Originalstrecke. Die Möglichkeit, als viertes bzw. fünftes Boot die 12-Stunden-Barriere zu durchbrechen, wurde den beiden Teams von den welligen Bedingungen verwehrt. Schöne Glückwunsch- und Verbrüderungsszenen am Steg zeugten vom großen Respekt zwischen, bzw. der vorbildlichen, guten Kameradschaft unter den Langstreckenruderern.
Nicht stark genug, um in den Kampf um den Regattasieg einzugreifen aber schnell genug, um bei nicht optimalen Bedingungen den Mastersrekord der Ludwigshafener aus dem Jahre 2011 zu brechen war die Rgm Cannstatt/Hamm/Nürtingen/Ulm. Den Kampf gegen die Uhr gewannen sie um 9 Minuten: mit 12:26:30h trugen sich die fünf Teammitglieder damit zum ersten, zweiten oder dritten Mal in die Liste der bestehenden Genfersee-Regatta-Rekorde ein. Den vierten Platz sicherten sich die „steuerbefreiten“, ganz frischen Ex-Masters-Rekordhalter aus Ludwigshafen in 13:03:59h, deren Riemenrekord aber weiterhin – und vermutlich für ewig – in den Analen stehen wird. Die junge Truppe aus Karlsruhe zeigte Stehvermögen und Charakter fuhr als Gesamtfünfter und Sieger in der Novizen-Kategorie nach 13:29:01h über die Ziellinie. Genau 5 Minuten später folgte das Vereinsboot der Neuwieder RG, welches knapp 4 Minuten vor den abermaligen Mixed-Klasse-Siegern aus Oldenburg (13:38:48h) blieb. Die Frauen-Trophy ging erwartungsgemäß an die deutsch-niederländische Crew, die in 14:48:09h auf einem bemerkenswerten 9. Gesamtplatz einkamen. Die letzten 3 Bezwinger des großen Sees wurden nach mehr als 19 Stunden Ruderzeit zwischen 3 und 4 Uhr nachts in Empfang genommen. Bis auf das Frauenboot aus Bristol, das aufgrund des Verfehlens des Zeitlimits zur Streckenhälfte aus dem Rennen genommen werden musste, hatten damit alle angetretenen Mannschaften diese ultimative Langstreckenherausforderung bewältigt.
Auch der Abschluss der Veranstaltung am Sonntag fand bei Kaiserwetter statt. Bei der Siegerehrung bekamen alle Teilnehmer die ausgesprochen hübschen Seebezwinger-Zinnbecherchen, die Gewinner der 5 ausgeschriebenen Klassen Offen, Mixed, Frauen, Masters und Novizen die begehrten Kannen. Nach dem wetterbedingt verstümmelten „Sprint-“Rennen auf stark verkürzter Strecke in 2015 wird die diesjährige Edition als einmal mehr top organisierte Veranstaltung bei perfekten äußeren Bedingungen mit einem bislang nicht da gewesenen, spannenden Kampf um den Gesamtsieg bis zur Ziellinie eingehen. Ein herzlicher Dank aller Teilnehmer geht an Stéphane Trachsler für die hervorragende Leitung der Regatta und die Unmengen an Helfer, welche einmal mehr zur Einzigartigkeit dieser „Königin der Langstreckenregatten“ beigetragen haben.