Leserbrief: Gedanken zur Deutschen Meisterschaft
Zum Verbandsschreiben Nr. 654, Punkt 9.2.4. „Antrag auf Fortführung einer Erprobungsmaßnahme“:
Die Deutsche Kleinboot Meisterschaft soll umbenannt und zu DER Deutsche Meisterschaft werden, in anderen Bootsklassen als 1x und 2- gibt es nach vorliegendem Antrag keine Meisterschaften mehr. Damit wäre zweifelsfrei der schnellste deutsche Skuller auch Meister von Deutschland, der Sportentwicklung des Verbands ist der Vorschlag wohl abträglich. Vereine und Sportler können nicht mehr nach Meistertitel streben und eine weitere der wenigen interessanten Wettkampfmöglichkeiten über 1000m für Leistungssportler außerhalb des Hochleistungsbereichs ginge verloren.
Eine Großbootmeisterschaft sei wegen geringer Meldezahlen nicht notwendig, so der Antrag. Es mag ein Lapsus sein, von der Großbootmeisterschaft zu sprechen, die es nur 2005-2010 gab. Es mag aber auch ein Zeichen sein, dass dem aktuellen Format der Geruch des gescheiteten Versuchs der 2000m-Vereinsmeisterschaft anhängt. Mit aufbereiteten Zahlen des aktuellen Formats ist diese Begründung nicht unterlegt. Bei vollen Feldern im Achter und den Vierern, besonders im Vergleich zum Tiefpunkt 2012, gibt es aber eine deutliche Besserung der Situation. Diese ist nicht ausreichend, sollte aber zur weiteren Pflege des Problemkinds statt zur Abschaffung desselben führen.
Es bleiben Fragen. Warum hat sich beim letzten Rudertag eine Mehrzahl der Delegierten gegen einen ähnlichen Vorschlag wie diesen ausgesprochen, ohne dass die Meldezahlen in der Folge (rasant) stiegen? Warum kommen die Vereins- und Funktionärsinteressen nicht bei den Trainern und Sportlern an? Wo liegt die Grenze, ab wann eine Deutsche Meisterschaft durch die Meldezahlen „würdig“ ist? Oder wo liegt die Grenze, damit sich ein Regattaveranstalter findet, den Aufwand zu betreiben? Der Anspruch, die absolut schnellsten Sportler und Sportlerinnen küren zu wollen, ist mit dem Anspruch, viele Sportler bei einer Meisterschaft zu sehen, überkreuzt. Es liegt in der Natur der Sache und in der (geringen) Breite unserer Spitze, dass die Meldefelder nicht voll sein können, wenn wir nur unsere allerbesten, international erfahrenen Ruderer um die Meistertitel fahren lassen. Geht es wirklich um die Meldezahlen, sollte ein Antrag formuliert werden, mit dem bei Abschaffung der jetzigen Deutschen Meisterschaft die Sprintmeisterschaft umbenannt wird. Diese ist wirklich eine Meisterschaft der Vereine.
Im Leistungs- und Hochleistungssport haben wir etliche Herausforderungen. Von den vielen Junioren, durchaus international erfolgreich, schaffen es nur die wenigsten in die internationale Spitze. Die duale Karriere ist für die überragende Zahl der Betroffenen eine leere Worthülse. Der Quereinstieg in den Hochleistungssport ist für junge Erwachsene in Deutschland nicht möglich. (Nebenbei ein entscheidender Nachteil gegenüber vielen anderen Nationen). Bei den Senioren gibt es praktisch keine Wettkämpfe. Wer nicht top ist, hört mit dem Wettkampfsport auf und die Startfelder und Möglichkeiten regionaler Regatten schrumpfen gefühlt. Einzig die Bundesliga bleibt, steht trotz tollem Bemühen aber auf tönernen Füßen und verschärft zugleich das Verschwinden alternativer Wettkampfangebote für Senioren.
All diese Probleme werden durch den Erhalt einer Deutschen Meisterschaft nicht gelöst. Das Streichen einer der letzten Möglichkeiten für Nachwuchssportler, Vereinssportler und Topsportler miteinander und gegeneinander zu rudern, verschärft die geschilderten Problemlagen aber ganz sicher. Wofür sich der Rudertag entscheidet, der vorliegende Antrag kann nur die zweitbeste Lösung für die Entwicklung des Ruderns in Deutschland sein.
Wie könnte es besser sein: Ist eine Zusammenlegung mit anderen Meisterschaften möglich? Ist eine Mammutveranstaltung über mehr Tage mit Titelkämpfen der Jugend, der U23 und der offenen Klasse vorstellbar? Am Ende könnte in der offenen Klasse über 1000m gerudert werden, auch mit A-Junioren und U23-Sportlern, die nicht in WM-Trainingslager abreisen. Wie machen es andere Nationen, gerade kleine? Wie machen es andere Sportarten, bspw. Kanuten?
Die Debatte über die Deutsche Meisterschaft wird seit Jahren zu Recht geführt. Doch vor den gesammelten Erfahrungen sollte die Debatte geführt werden, welche Deutsche Meisterschaft wir wollen. Welche Meisterschaft wir wollen, haben die deutschen Rudervereine und der DRV bis heute versäumt. Von welchen Denkmustern müssen wir uns lösen, um die Deutsche Meisterschaft am Leben zu halten? Der vorliegende Antrag fragt dies gar nicht erst. Die Definition, was die Deutsche Meisterschaft sein sollte, steht nach zwölf Jahren Erprobungsmaßnahme noch immer aus!