Im Herzen des Rudersports
In Henley-on-Thames wurde der moderne Rudersport geboren. Die Ruderduelle hier sind legendär. Weithin unbekannt ist das Rudermuseum. Es stellt einige Missverständnisse über das Rudern klar. Ein Besuch von Wolfgang Chr. Goede.
Das verträumte Städtchen an der Themse ist Pilgerstätte für Ruder-Aficionados aus aller Welt: Henley-on-Thames, eine gute Stunde von London entfernt, 20 Kilometer vom Windsorschloss High Wycombe. Dies ist der Schauplatz des „Boat Race“, des mit größter sportlicher Leidenschaft ausgetragenen Ruderwettkampfs zwischen den Universitäten Oxford und Cambridge*, seit 1829. Seit 1839 startet hier die berühmte „Royal Regatta“, mittlerweile ein Fünf-Tage-Event, zu der mehrere tausend Ruderer mit 500 Booten anreisen.
Henley atmet Rudergeschichte, vor allem in seinem einzigartigen Rudermuseum. Das beherbergt, raffiniert nachgestellt, die Jahrtausende lange Historie. Von den Kriegsschiffen der Antike, über wunderschöne alte Klinkerboote, bis zu den ultraleichten Carbonfaserflitzern der heutigen Rudergeneration.
Ein Ruderer-Himmel: Die Boote hängen von einer langen Decke in allen Gattungen herunter. Unten am Boden stehen, zum genaueren Inspizieren, weitere Boote, dazwischen viele spannende Bilder und kompakte Informationen über Bau- und Rudertechniken, Evolution und Meilensteine des Sports.
Weihen der Krone
Beeindruckend und man beginnt zu begreifen: Ein Elitesport, vom Königshaus geadelt, und mit diesem Rückenwind via Commonwealth die Siegesfahrt rund um die Welt angetreten. Ohne diese hohen Weihen wäre das Sich-Bewegen mit dem Rücken in Fahrtrichtung möglicherweise ein skurriles Inselphänomen geblieben.
Doch der eigentliche Ritterschlag des Ruderns erfolgte bereits vor 2500 Jahren. Mit hochleistungsfähigen Ruderbooten verteidigten die Griechen ihre junge Demokratie gegen die Perser. Die Triere waren von freien Bürgern geruderte Zerstörer, schnell und wendig. Sie fraßen sich mit ihren Rammspornen in die übermächtige, aber träge und von phlegmatischen Sklaven geruderte Schlachtschiffflotte der Asiaten. In Henleys imposantem Rudermuseum wurde ein Trierensegment nachgebaut. Darin sieht man, auf drei Ebenen eingepfercht, die 170 Ruderer schuften. Ein Film, gedreht auf einem historischen Nachbau, dessen Mannschaft das Wasser zum Kochen bringt, vermittelt Live-Atmosphäre.
Karriere des Äppelkahns
Der Krieg als Vater des Ruderns? Nicht ganz. Wasserläufe waren oft die einzigen Straßen und Transportwege, und das verlangte nach einem einfachen und robusten Fahrzeug. Aus dem ausgehöhlten Baumstamm der Steinzeitmenschen wurde mit zunehmenden Technikverstand und Handwerksgeschick ein behäbiges, breites Mehrpersonenboot, der „Äppelkahn“. Die alten Malereien sind Zeugnis. Jahrhundertelang war er das Universalfahrzeug an Küsten, auf Flüssen, in Häfen. Zum Befördern von Lotsen, beim Walfang, zum Retten havarierter Seeleute. Selbst die heroische Grace Darling, die früher in keinem Englischlehrbuch fehlte, findet in Henley ihr Denkmal. Erstaunlich, welchen Wind- und Wellengewalten diese Nussschalen trotzten! Sie sind der Kern heutiger Ruderboote. Ab 1715 geben sich darin die sport- und wettbegeisterten Engländer zunehmend Bootsrennen hin. Das wird zu einem Collegesport, Oxford und Cambridge setzen Maßstäbe, damit und mit dem Glanz der Henley Regatta verbreitet sich das Rudern im 19. Jahrhundert in wenigen Jahrzehnten mit explosiver Ausbreitungskraft rund um die Welt.
Kampf um Rollsitz
1836 erreicht die Ruderbegeisterung Hamburg (44 Jahre später erst München und den MRC); 1852 lassen sich die US Universitäten Yale und Harvard auf ein Boat Race ein und zelebrieren es seither. Das alles sowie natürlich auch die neuesten Entwicklungen, wie etwa die Frauenemanzipation gegen die Altmännerriege oder das Wettrennen über die Weltmeere in Ruderbooten lassen sich im Museum am Zeitstrahl abschreiten. Die Boote werden ab 1800 zwar schmaler und schnittiger. Aber die Mannschaften sitzen weiterhin auf starren Sitzen. Sie holen die Kraft zum Rudern aus Schultern und Armen. Erst 1857 wurde der Rollsitz erfunden, wenig später der stählerne Ausleger. Sie verlagern das Kraftzentrum dorthin, wo der Mensch stärke Muskeln besitzt, in Beine und Rumpf. Vorher waren die Ruderer zur Verlängerung ihres Hubs bereits auf Lederhosenböden über eingefettete Sitzflächen gerutscht.
Der Rollsitz blieb allerdings umstritten. „Rutschen und Gleiten ist doch kein Rudern“, missbilligten die konservativen Aufseher über die Ruderregularien den rudertechnischen Durchbruch. Auch nachdem der gleitende Sitz 1873 erstmals beim Boat Race Einsatz gefunden und die Zeiten markant verbessert hatte.
Sieg des Turboschubs
Die Argumentation erinnert ein wenig an die der Mediziner jener Zeit. Sie hatten allen Ernstes vorgeschlagen, Bretterzäune rund um Eisenbahnschienen zu errichten, damit Bahnreisende bei 30 km/h nicht ihren Verstand verlören ...Aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar: Die Debatte über pro und contra des Rollsitzes wurde bis ins 20. Jahrhundert geführt und zeitweise mit großer Leidenschaft, fast schon religiöser Inbrunst, ist den in Henley aufbereiteten Annalen zu entnehmen. Erst ab ca. 1925 stieß der entscheidende rudertechnische Durchbruch auf keine Gegner mehr. Der vom Rollsitz ermöglichte Turboschub brachte das moderne Sportruderboot hervor, mit immer durchgestylteren Rümpfen und formvollendeteren Bewegungstechniken.
Symphonie der Bewegung
Beide bedingen, verfeinern einander, gipfeln in einem Zitat eines der besten Bootsbauer aller Zeiten, George Pocock, auch im Museum verewigt: „Rudern ist die schönste aller Künste. Eine Symphonie der Bewegung.“ Die spüren wir alle, wenn das Boot gut läuft. Beim Hinausgehen fragt sich der Besucher, neugierig: Was wird wohl die nächste rudertechnische Revolution sein?
Autor und Fotograf: Wolfgang Chr. Goede, MRC 1880 München. Der Text ist einem Artikel entnommen, der im MRC Club-Magazin „Riemen & Skull“, Ausgabe 2016 (Dezember) erschien. Siehe auch hier.