"In der Breite gezielter fördern" - Mario Woldt im Interview
In der aktuellen März-Ausgabe von rudersport, dem Magazin für aktive Ruderer, nimmt DRV-Sportdirektor Mario Woldt im Gespräch mit rudersport-Chefredakteur Thomas Kosinski Stellung zur Leistungssportreform, zur Entscheidung für die drei Leitstützpunkte und die Zusammenführung der Athleten vor großen Wettkämpfen.
Herr Woldt, der Leistungssport in Deutschland ordnet sich neu. Was sind die wichtigsten Veränderungen für den Rudersport?
Die große Linie sieht so aus: Der Bund als großer Geldgeber wird in Zukunft verstärkt in die Richtung investieren, wo Erfolg, sprich Medaillen, zu erwarten sind. Im Prinzip wurde schon immer nach Medaillen abgerechnet, doch diese Blickweise wird nun noch einmal verschärft. Vorher war Rudern eine Sportart, die in Summe gefördert wurde. Nun werden wir als sechs Disziplinen betrachtet, die einzeln bewertet und auch gefördert werden: das sind jeweils für Männer und Frauen die Disziplinen Riemen, Skull und Leichtgewichte. Bei jeder Disziplin wird untersucht, welches Potenzial vorhanden ist und dementsprechend soll die Förderung ausfallen.
Wenn im Skiff keine Medaillen geholt werden, dann gibt es für alle Einerfahrer keine Förderung mehr?
Das kann man so nicht sagen. Besonders der Einer, männlich oder weiblich, ist eine Bootsklasse, die einen langfristigen Aufbau und auch Förderung bedarf. Es ist uns sehr daran gelegen, zukünftig wieder starke Einerfahrer zu entwickeln, doch das benötigt Zeit. Somit stehen wir mit der Deutschen Sporthilfe im Gespräch leistungsstarke Einerfahrer finanziell zu unterstützen, so dass sie die Aufgabe annehmen und konzentriert angehen können. Uns ist sehr bewusst, dass eine Medaille in dieser Bootsklasse sehr schwierig ist.
Worauf sie abzielen, denke ich, ist aber auch der Ansatz, dass bei ausbleibendem Erfolg einer Disziplin die Förderung gekürzt wird. Im A-Bereich gehen die Tendenzen dahin, dass nach Potential und Erfolg gefördert werden soll. In Kürze: wird einer Disziplin eine geringe Erfolgsaussicht beschieden so wird sich auch die Bundesförderung daran orientieren. Dies geschieht zukünftig über das System PotAs. Natürlich gibt es kritische Stimmen, die sagen, man kann doch nicht die Disziplinen abhängen, in denen es momentan kein sportliches Potenzial gibt, oder sich die Disziplin gerade im Umbruch oder Aufbau befindet. Das ist verständlich. Aber der Bund sagt, diese Aufbauarbeit müssen die Ländern und der Verband leisten, das BMI ist im Wesentlichen für die Spitze zuständig. Auch die Länder investieren sehr viel Geld in den Sport, sie unterstützen sowohl den Spitzen- als auch den Breitensport. Die fachliche Steuerung des Spitzensports, so ein Beschluss der Länder, soll in der Hand der Spitzenverbände liegen. Diese erhalten die Richtlinienkompetenz bis auf die Ebene der Landesfachverbände und Landessportbünde, damit das System durchgängig ist und das Ruderkonzept einheitlich umgesetzt werden kann.
Und in der Spitze zählen nur Medaillen?
Wir wollen selbstverständlich den Erfolg bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio, aber auch darüber hinaus. Wir als Verband werden uns also so aufstellen, dass wir auch über den Tellerrand blicken und die notwendigen Weichen stellen, um über 2020 hinaus erfolgreich sein zu können. Die Leistungssportförderung des Bundes ist auf Potential ausgerichtet, in der Praxis heißt das Potential für 2020 und 2024. Wir müssen das richtige Verhältnis wählen, zwischen in der Spitze investieren und der Breite entwickeln. Einzig eine Breite zu entwickeln, wird uns nicht im internationalen Wettbewerb vorne mit dabei sein lassen. In 2020 müssen wir schon das erreichen, was maximal möglich ist.
An welchen Stellschrauben drehen Sie dafür?
Wir gucken verstärkt dahin, wo Athleten mit ausgeprägtem Potenzial sind und fördern in der Breite gezielter. Allein schon deshalb, weil auch die Deutsche Sporthilfe ihr Fördersystem umgestellt hat und die Anzahl der geförderten/finanzierten Sportler zum vorherigen Zyklus halbiert wurde. Darüber hinaus ist es unser Bestreben, die Disziplinen für intensiveres und konsequenteres Training im Vorfeld der Olympischen Spiele an drei Standorten zu konzentrieren. Circa 21 Monate vor den Olympischen Spielen, bzw. 19 Monate bevor die Olympiamannschaft final nominiert wird, sollen die Athleten für das tägliche Training an den jeweils disziplinführenden Stützpunkten zusammenkommen.
Ein weiterer Hebel für 2024 ist die konsequentere Investition in den U23 Bereich durch den Ausbau von Trainingsmaßnahmen sowie die Organisation des Bereichs durch einen eigens zuständigen Trainer.
Wie begründen Sie die Entscheidung auf die drei Stützpunkte Dortmund, Berlin/Potsdam und Ratzeburg/Hamburg?
In den letzten Jahren haben wir natürlich unsere Stützpunkte und ihr Umfeld intensiv betrachtet und die Erfahrungen mit einfließen lassen, da wir über die deutschlandweite Leistungssportreform die Anzahl unserer Stützpunkte auch reduzieren mussten. Die erwähnten drei Stützpunkte waren bereits in der Vergangenheit unsere drei großen Stützpunkte, mit ihren ganz eigenen und in vielerlei Hinsicht exzellenten Umfeldbedingungen. Für den neuen Zyklus wurde für uns deutlich, dass sie auch die drei sein werden, die zukünftig für Disziplinzusammenführungen am besten geeignet sind.
Personell, organisatorisch als auch in den Kooperationen mit den lokalen Partnern sind wir an allen Standorten auf einem guten Stand, auf dem wir leicht weiter aufbauen können. Dazu kommt das Thema Ausbildung der Sportler. Unsere Sportart ist nach wie vor recht akademisch geprägt und an diesen drei Standorten kann man fast alles studieren. Diese Regionen weisen ca. 300.000 eingeschriebene Studenten aus. Die ersten Gespräche mit dem Olympiastützpunkt und lokalen Partner für weitere Unterstützungsmaßnahmen wurden bereits geführt.
Die anderen Stützpunkte reklamieren dies sicherlich auch für sich. Viele Leichgewichtsruderer leben im Frankfurter Raum. Die Vereine im Frankfurt und Mainz Raum sind „not amused“.
Die Rhein-Main Region ist eine Wachstumsregion mit viel Potential an zukünftigen Ruderern sowie Unterstützern aus Politik und Wirtschaft. Dieses Umfeld war es auch, das den Stützpunkt in seiner jetzigen Form hat wachsen lassen. Die Nachwuchsentwicklung in der Region hat sich gut entwickelt und ist etabliert. Jedoch insbesondere in Bezug auf die unmittelbaren Wasserbedingungen für das tägliche Training sehen wir die drei disziplinführenden Bundesstützpunkte als die am geeignetsten Reviere an.
Hat die Haltung des IOC, das das Leichtgewichtsrudern am liebsten generell abschaffen will, darauf Einfluss gehabt?
Der Leichtgewichtsvierer der Männer ohne wurde im Zuge der Überarbeitung des Olympischen Programms und einer 50:50 Quote zu Gunsten des Frauenvierers ohne aus dem Programm genommen. Dies trifft die aktiven Leistungssportler in diesem Bereich schwer und der Unmut ist groß. Als Erfolg ist jedoch zu verzeichnen, dass der Skullbereich, sollte das IOC es im Juni so beschließen, im Olympischen Programm bleibt. Hinsichtlich der Förderung von Athleten bedeutet es für dieses Jahr eine eingeschränkte Förderung für Leichtgewichts-Riemer im Vorfeld der WM. Hinsichtlich der Potentialorientierung werden wir ab 2018 diese Disziplin dann nicht weiter aus Bundesmitteln finanzieren können.
Wie wichtig ist Ihnen, den Kader knapp zwei Jahre vorher zusammenzuführen und die Sportler zum Umzug zu bewegen?
Wir sehen die Notwendigkeit des zunehmenden gemeinsamen Trainings, das auch international bei allen erfolgreichen Nationen üblich ist . Dort sprechen wir nicht etwa wie im unserem Modell von Konzentration an mehreren Standorten, sondern von einer noch weiterführenden Zentralisierung an mitunter einem einzigen Standort. Für die Spitze und die finale Vorbereitung auf die Olympischen Spiele ist dieser konzentrierte Schritt auch ein notwendiger. Im Nachwuchsbereich, auch U23, wollen wir uns jedoch etwas breiter aufstellen und mehr aus den dort bereits aktiven Sportlern in den Seniorenbereich begleiten. So fokussieren wir uns als Verband nicht lediglich auf drei Bundesstützpunkte, sondern arbeiten darüber hinaus mit sechs weiteren Bundesstützpunkte, um den Nachwuchs fördern zu können.
Für Großboote ist die Zusammenführung sinnvoll, nicht aber für Einer und Zweier. Teilen Sie diese Ansicht der Kritiker?
Wenn irgendwo ein Einer unter hervorragenden Bedingungen trainiert, gibt es da keine Einwände. Trotzdem ist es wichtig, selbst diesen Einerfahrer an seine Disziplin, also bei den Skullern, anzubinden und Trainingslager gemeinsam zu bestreiten. Erfolgreiche Einerfahrer wie Thomas Lange oder Katrin Rutschow-Stomporowski sind auch im Team gewesen und im Mittelboot gefahren. Ich halte diesen Anschluss für wichtig. Wenn ein Einerfahrer ins Mannschaftsboot zurück will, dann sollte er eine Mindestanzahl an gemeinsamen Trainingsmaßnahmen absolviert haben. Bei den Mittelbooten sehe ich das erst recht so. Da brauchen wir immer eine Auswahl an Ruderern, denn nicht immer ergibt die Kombination der beiden schnellsten Ruderer die schnellste Kombination im Boot. Wir haben also immer eine Vielzahl von Ruderern, um die optimale Kombination zu finden. Dafür müssen wir die besten Doppelzweier- und Doppelviererfahrer an einem Standort zusammenführen.
Wo ist die Kompromisslinie?
Wir sind dem Wunsch - insbesondere der Landesverbände - gefolgt und haben den Nachwuchsbereich U19 erst einmal ausgeklammert, der weiterhin in den Regionalgruppen arbeiten wird. Für uns ist die Konzentration der Disziplinen der richtige Weg, um über einen längeren Zeitraum konsequent zusammen trainieren zu können. Individualansätze, so z.B. bei den Einern wird es sicherlich geben, doch ist es natürlich schwer, diese Ansätze pauschal im Vorfeld auf Folien oder Konzepten niederzuschreiben. Darüber hinaus werden wir den Weg der Konzentration weiter intensiv verfolgen.
Was sagen die Athleten dazu?
Da ist von absoluter Zustimmung bis zur Kritik alles dabei. Einige möchten sicherlich gerne in der Heimatregion bleiben und nur am Wochenende zum disziplinführenden Stützpunkt kommen, andere stehen voll dahinter und sehen die Notwendigkeit zu einer räumlichen Verlagerung. Die Athleten wollen natürlich wissen, woran sie sind, was wir planen, was auf sie zukommt, welche Konsequenzen zu erwarten sind. Wir führen in den kommenden Wochen mit den Sportlern und Kaderathleten, aber auch mit den Vereinen, intensive Gespräche. Was wir jetzt schon verbindlich sagen können, ist: Wer neu bei der Bundeswehr oder Bundespolizei aufgenommen wird, für den gilt schon jetzt, am für die Disziplin richtigen Stützpunkt ansässig zu sein.
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