Genfersee-Regatta 2018: The Tour du Lac Léman goes Rhone
Wenig Gutes hatten die Meteorologen für den Termin der 46. Tour du Léman à l‘Aviron am 29. September zu berichten. Schon früh zeichnete sich ab, dass ausgerechnet am Regattatag ein Tief von den Britischen Inseln das ruhige Spätsommerwetter unterbrechen und in weiten Teilen Mittel-Europas für sehr lebhaften Wind aus nördlichen Richtungen sorgen würde. Die Vorhersage stand schon früh – eigentlich viel zu früh, um wirklich aussagekräftig zu sein. Zum Unmut aller Freunde der legendären Tour verfestigte sich in diesem Fall die Prognose jedoch von Tag zu Tag, so dass sich das Orga-Team der veranstaltenden Société Nautique de Genève (SNG) um SRV-Präsident Stéphane Trachsler zu einem Novum gezwungen sah, um den gemeldeten 21 Teams doch noch ihren Saisonhöhepunkt zu ermöglichen: Aufgrund der vermeintlichen Nicht-Beruderbarkeit des „Petit Lacs“, der auch als Ausgangspunkt für alle Ausweichstrecken-Optionen auf dem See relevant ist, sollte der sportliche Teil des Ruderevents auf der Rhone stattfinden. Als Rennstrecke wurde der 10 km lange Rhoneabschnitt zwischen Butin und Peney am Westrand von Genf auserkoren, an dem auf ca. einem Viertel der Strecke die Außenstelle der Ruderabteilung der SNG lokalisiert ist, die als Sattelplatz, Einsetz- und Startpunkt dienen konnte. 4 Runden á 20 km, also 80 km gesamt, wurden als guter Kompromiss zwischen ruderischer Herausforderung und zeitlich-organisatorischen Zwängen befunden. Prädestiniert für ein größeres Ruderevent waren die winkelige Anfahrt zum Bootshaus und die Platzverhältnisse um das Bootshaus herum freilich nicht, aber mit ein bisschen Improvisieren und organisatorischem Geschick wurde das schwer Mögliche möglich gemacht, so dass einer Durchführung der alternativen Tour nichts mehr im Wege stand.
Von den 21 gemeldeten Teams mit Teilnehmern aus sieben Ländern (Deutschland, Frankreich, Niederlande, Großbritannien, Schweiz, Schweden und Australien, in Reihenfolge der Teilnehmeranzahl) waren trotz der schlechten Vorzeichen fast alle, nämlich 20, die Reise nach Genf angetreten. Ein Drittel der Mannschaften nutzte nach der Verkündung des Alternativplans am Freitag die Möglichkeit, die Regattastrecke Probe zu rudern, die neuralgischen Stellen der landschaftlich schönen, aber kurvigen Strecke mit deutlicher Strömung zu begutachten und Rennwenden zu üben. Zeit genug war dafür da, denn die üblichen aufwendigen Präparationsarbeiten für alle Eventualitäten, die eine Seerunde so mit sich bringen kann, entfielen ja. Als positive Nebenerscheinung der Probefahrten wurde hierdurch ein Nadelöhr der Veranstaltung, die Bootstransfer-Logistik am Regattatag, etwas entzerrt.
Das Abendprogramm der Tour fand wie gewohnt statt. Der Eröffnung der Anmeldung folgte das Teilnehmer-Briefing, das in diesem Jahr ob der speziellen, für alle neuen Situation auch für die alten Tour-Hasen interessant war. Überhaupt bedeutet die Rhone selbst für die meisten Leute mit sehr großer Wanderrudererfahrung Neuwasser. Es folgte der liebgewonnene Empfang auf der Dachterrasse der SNG mit Häppchen aller Art, der zu später Stunde mit der Wettervorhersage abgeschlossen wurde. TV-Meteorologe Philippe Jeanneret beseitigte die letzten Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, das Rennen auf sicheres Gewässer zu verlegen. Ein dauerhafter Wind der Stärke 5 am Samstagmorgen mit Böen bis 60km/h, eventuell sogar bis 80km/h aus nördlicher bis nordöstlicher Richtung würde aller Wahrscheinlichkeit nach für meeresähnliche Wasserbedingungen in weiten Teilen des Lac Léman sorgen.
Im Dunkeln ging es am Samstagmorgen für alle los in Richtung SNG-Bootshaus an der Rhone. Platzoptimiertes Riggern war angesichts des begrenzten Platzangebots angesagt, was durch Zusammenarbeit aller ganz gut klappte. Trotz des geordneten Ablaufs konnte allerdings die angestrebte Startzeit des Rennens um 9 Uhr nicht ganz gehalten werden. Aber immerhin waren um 9:25 Uhr schließlich alle Boote auf Wasser, so dass ein (Kalt-)Start um 9:30 Uhr umgesetzt werden konnte. Dieser hatte es wahrlich in sich, denn gegen den Strom – bis zur Wendeboje ging es erst mal ca. 2,5 km stromauf bei zunehmender Fließgeschwindigkeit der Rhone – war natürlich jedes Team um ein möglichst schnelles Erreichen der Ideallinie bestrebt. Der übliche Massenstart wurde durch eine Startaufstellung ähnlich jener im Motorsport etwas entschärft, indem immer 3 bis 5 Boote auf einer Linie und auf 5 Reihen aufgeteilt starteten, und das gemäß einer vom Veranstalter festgelegten Setzliste mit den vermeintlich startschnellsten offenen Männerbooten in den ersten beiden Startreihen. Die beiden Favoritenboote, die auf einer Position veränderten Vorjahressieger aus Bad Cannstatt, Bonn, Hamburg und Hamm (Team-Kurzname LöTschet) und die Renngemeinschaft Bonn/Kleve/Köln/Neuwied (Team eNeRGetic), Vorjahreszweite mit Veränderungen auf zwei Positionen, schenkten sich nichts. War die frühe Führung auf dem See immer eher eine Prestigesache, so bedeutete die Führung auf dem Fluss einen wirklichen Vorteil, den keiner freiwillig abschenken wollte. Team LöTschet nutzte seine bevorzugte Startposition, setzte sich in Front und verteidigte die Führung bis zur Wendeboje welche die beiden ersten Boote in Tuchkontakt umrundeten. Hinter diesem Kampf auf Biegen und Brechen war erst mal ein größeres Loch, dann folgte die deutsch-schwedische Rgm. Karlsruhe/Ludwigshafen/Stockholm mit dem Vereinsboot der Neuwieder RG unmittelbar im Kielwasser. Das Vereinsboot des Stuttgart-Cannstatter RC umrundete die Boje hingegen isoliert mit Wasser davor und danach, während die beiden ORVO-Boote in Form des Männerboots der Rgm. Oldenburg/Hemmoor/Bad Schwartau und des bewährten Oldenburger Langstrecken-Mixed-Master-Teams die Wendeboje als Doppelpack umkurvten, sich dabei näher kamen, als gewollt, und sich in den nächsten Runden ein interessantes Hausduell auf Augenhöhe liefern sollten, zunächst mit dem Mixed-Boot leicht in Front.
Im Laufe der ersten Runde manifestierten sich die Positionen: LöTschet brachte etwas mehr Wasser zwischen die Boote, Karlsruhe/Ludwigshafen/Stockholm konnte sich deutlich vom Verfolger Neuwied lösen, wobei der Rückstand zu den zwei Spitzenteams sich zwar weiter, aber nur noch leicht vergrößerte. Nach der ersten von vier 20km-Runden waren die Vorjahressieger mit 38 Sekunden in Front vor den Herausforderern aus dem Rheinland. Die deutsch-schwedische Rgm. war mit etwas mehr als 2 Minuten Rückstand noch nicht ganz raus beim Kampf um den Gesamtsieg. Neuwied (4,5 Minuten) und Bad Cannstatt (7 Minuten) waren dagegen schon deutlich weg von den Top3. Letzteren saßen mit ca. einer halben Minute Rückstand die beiden ORVO-Boote im Nacken, die weiterhin nur wenige Sekunden auseinander lagen und sich nichts schenkten.
In Runde 2 veränderten sich die Abstände in derselben Weise und die Positionen verfestigten sich. An deren Ende hatte sich der Vorsprung der Führenden vor Bonn/Kleve/Köln/Neuwied auf 1:30 Minuten verdoppelt, während Karlsruhe/Ludwigshafen/Stockholm sich mit 6 Minuten Rückstand mittlerweile aus dem Sieganwärter-Kreis verabschiedet hatte. Bad Cannstatt hatte mit ca. 2 Minuten Rückstand auf Neuwied noch Chancen auf den inoffiziellen Titel „Schnellstes Vereinsboot“ und hatte sich von den Verfolgern abgesetzt. Das ORVO-Hausduell war weiterhin spannend mit dem Mixed-Master-Team lediglich eine halbe Minute hinter den Männern.
Im Laufe von Runde 3 schien sich das Rennen um den Gesamtsieg zu Gunsten von Team LöTschet entschieden zu haben nachdem die Führung auf bis zu 2:45 Minuten ausgebaut werden konnte. Schon bei der vorletzten Zieldurchfahrt deutet sich allerdings eine Umkehr des Trends an: Zeit also für den berühmt-berüchtigten langen Endspurt von Team eNeRGetic, der schon in den vergangenen Jahren Positionen gedreht und scheinbar gelaufene Rennen spannend gemacht hatte. So auch dieses Mal! Während Team LöTschet die Dynamik nicht zur Gänze aufrecht erhalten konnte, fuhren sich die eNeRGetics bei einer Schlagzahl über 30 während der letzten Stunde in einen rauschähnlichen Zustand und reduzierten den Rückstand Meter um Meter. Im Führungsboot machte sich zunehmend Besorgnis breit, ein sicher geglaubtes Rennen auf den letzten Meter noch zu verlieren, was nochmal einen Ruck durchs Team gehen ließ. So konnten die zunächst schnell heranfahrenden Konkurrenten auf den letzten Kilometern auf Distanz gehalten und die Annäherungsgeschwindigkeit deutlich reduziert werden. 33 Sekunden des ehemals stolzen Vorsprungs wurden über die Ziellinie gerettet, die vom Siegerteam nach 5:39:52 h Ruderzeit erreicht wurde. Große Freude und noch größere Erleichterung im Siegerboot, gefolgt von anerkennenden Hipp-Hipp-Hurras aus beiden Booten für die Gegner für ein hochklassiges Rennen, das die beiden Teams mit einer beeindruckenden Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 14 km/h absolviert hatten.
Die Rgm. Karlsruhe/Ludwigshafen/Stockholm fuhr in 5:58:44 h einen ungefährdeten dritten Platz ein. Für die physisch starken Spezialisten von der 1000 und 2000 m-Strecke, die schon wegen ihres niederfrequenten, kraftvollen Schubschlags aus der Masse auffielen, ein schöner Erfolg, der mit den Gewinn der Novizen-Wertung noch veredelt wurde. Platz 4 ging in 6:05:30 h an das Team aus Neuwied, das in den letzten beiden Runden das Boot aus Stuttgart-Bad Cannstatt konstant auf 1,5 bis 2,5 Minuten Distanz halten konnte und am Ende mit 1:40 Minuten Vorsprung das schnellste reine Vereinsboot stellte. Das spannende Oldenburger Duell gewann die Männer-Rgm., die nach Gleichstand am Ende von Runde 3 zuletzt die stärkere Physis ausspielte und noch knappe 2 ½ Minuten auf die Mixed-Kollegen herausfuhren. Letztere konnten sich nach 6:16 h Ruderzeit über Gesamtplatz 7 und den Gewinn der Masters-Wertung freuen. Damit wurde der Weg in der Mixed-Wertung frei für die Rgm. aus Bonn und Köln, die auf Gesamtplatz 9 einkam, 4 Minuten hinter dem ersten Team ohne deutsche Beteiligung, einer Rgm. aus Genf und Canberra. Die letzte Klassenwertung, jene der Damen, sicherte sich einmal mehr das britisch-niederländische Ladies-of-the-Lake-Team aus altbekannten Genf-Teilnehmerinnen (Thames Valley Skiff Club/Upper Thames RC/Mortlake Anglian and Alpha BC/RV De Laak), das in 7:16 h als dreizehntes Boot das Ziel erreichten. Das letzte Boot kam kurz nach 18 Uhr an und damit immer noch knapp 2 Stunden vor der Zeit, zu der bei einer planmäßigen Tour du Lac i.d.R. die ersten Boote eintrudeln.
Die modifizierte Tour hatte den schönen Nebeneffekt, dass aufgrund der frühen Ankunft aller Teams sowohl der Samstagabend als auch der Sonntagmorgen deutlich entspannter abliefen und mehr Zeit zum Feiern, Schwelgen und Austauschen blieb. Das Sonntagsprogramm mit Siegerehrung, dem obligatorischen Teilnehmer-Gruppenfoto und dem Abschlussbankett konnte etwas früher als üblich angesetzt werden. Immer wieder ein Highlight, wie alle teilnehmenden Teams geehrt werden und auch die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Das Abschlussmenü fand dieses Jahr an großen, runden Tischen statt an denen die Teams und die zahlreichen Helfer gemischt platziert wurden, was zu mehr interessantem Austausch und netten, informativen Gesprächen führte. Gegen 13:30 Uhr war der offizielle Teil dieser besonderen „Tour du Lac Léman mit ohne See“ zu Ende.
Die Tour du Rhone war anders, irgendwie speziell und spannend mit größerer Bedeutung der Linienwahl und deutlich höherer Taktikkomponente als bei einer normale Seerunde – sicherlich die beste Option, die unter diesen Rahmenbedingungen möglich war und die vom Orga-Team zum Glück kurzentschlossen und reibungslos umgesetzt wurde. Nichtsdestotrotz bleibt die Hoffnung, dass dieser Exkurs zur Rhone einmalig war und in Zukunft wieder möglichst oft die ultimative Herausforderung der kompletten Seeumrundung angegangen werden kann.