6933 Kilometer auf dem Rhein
Man braucht Ausdauer, man braucht Willen, man benötigt Durchhaltevermögen, mentale Stärke und natürlich ein Mindestmaß an ruderischen Fähigkeiten, um nach 42,8 Kilometern auf dem Rhein körperlich zwar völlig kaputt zu sein, sich aber emotional wie ein Halbgott oder Halbgöttin zu fühlen. Man hat sich der Herausforderung gestellt, den großen Strom und vor allem sich selbst bezwungen.
Ohne das Gesamtpaket kommt kein Ruderer, keine Ruderin über die 42,8 Kilometer lange Strecke des Rheinmarathons. Traditionell am ersten Oktobersamstag ist Marathonzeit auf Europas verkehrsreichsten Strom und es wird vom RTHC Bayer Leverkusen bei Rheinkilometer 695 zum Clubhaus des RC Germania Düsseldorf bei Rheinkilometer 738 gerudert, in diesem Jahr war es bereits die 52. Auflage, die die Germanen organisierten. „Im Rheinland heißt es ja, dass alles, was zum zweiten Mal stattfindet, Tradition und alles, was zum dritten Mal durchgeführt wird, Brauchtum ist“, meinte Düsseldorfs Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller. „Also, der Rheinmarathon gehört definitiv zum Brauchtum der Landeshauptstadt.“
Und die Brauchtumsveranstaltung wies erneut einige Premieren auf. Erstmals kamen elf Aktive aus der Türkei. Andac Ozkan von Balikadamlar Istanbul hatte gemeldet. Ebenfalls erstmals dabei waren die Niederländer von der Roeivereniging Jason Arnhem. Und erstmals dabei war ein 103 Jahre altes Klinkerboot des Classic Boat Clubs aus Mülheim an der Ruhr. Insgesamt kamen 804 Ruderer und Ruderinnen aus neun Nationen in 162 Booten in Leverkusen am Startort zusammen und wurden einzeln alle 90 Sekunden auf die Strecke geschickt. „Ich glaube, dass wir mit Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus Österreich, den Niederlanden, der Türkei, Spanien, England, Irland, Schweden, Frankreich und Deutschland so international wie nie sind“, meinte Regattaleiterin Melanie Ott. „Ich bin mit dem Meldeergebnis und dem Verlauf der Regatta sehr zufrieden.“
Konnte sie auch, den bei den 6933,6 Kilometern, die die Regatta-Boote inmitten der Berufsschifffahrt absolvierten, gab es lediglich eine glimpflich verlaufende Kenterung, bei der die DLRG sofort zur Stelle war. „Die Besatzung konnte das Boot wieder drehen, einsteigen und bis zur Germania rudern“, verriet Germania-Vorsitzender Albrecht Müller.
Hätte es einen Preis für die längste Anreise gegeben, wäre der zweifellos an die Reisegruppe von Balikadamlar Istanbul gegangen, hatten sie doch die Distanz von 2504 Kilometer überbrücken müssen, um aus der Bosporus-Metropole in die NRW-Landeshauptstadt zu kommen. „Für uns war es ein Abenteuer“, urteilte Ozkan. „Eigentlich wollten wir mit zwölf Personen kommen, um drei komplette Mixed-Boote bestücken zu können. Aber ein Ruderer von uns hat kein Visum erhalten.“ Doch die Germania konnte das Problem lösen, organisierte flugs einen Ersatz für den daheim gebliebenen und drei Vierer mit Istanbuler Besatzung konnten den Rheinmarathon bestreiten. „Wir hatten einen vergleichsweisen ruhigen Nachmittag gehabt, weil wir auf dem Marmarameer trainieren und die Wellen dort höher sind als auf dem Rhein“, verriet Ozkan. Allerdings waren sie mit ihrer schnellsten Zeit von 2:49:13 Stunden nicht ganz zufrieden. „Beim nächsten Mal machen wir es besser“, versprach der Istanbuler und kündigte damit gleichzeitig an, wiederzukommen. „Für das nächste Jahr werden wir besser vorbereitet sein und mehr trainiert haben“, so Ozkan. „Wir versprechen im nächsten Jahr zehn Minuten schneller sein.“
Wiederkommen wollen auch die Männer aus Arnhem. Rein sportlich gesehen, haben die Rhein-Anrainer bei ihrer Premiere direkt einen Preis mitnehmen können, obwohl der Rhein zwischen Leverkusen und Düsseldorf andere Bedingungen parat hält als am unteren Niederrhein. „Wir trainieren auf dem Rhein mehrmals in der Woche, aber der Rhein in Arnheim ist etwas anders als hier. Er ist etwas ruhiger, da ist es leichter zu rudern“, offenbart Martin ten Voorde. „Wir wussten, dass der Rhein hier etwas belebter ist, aber wir haben viel Spaß gehabt.“ Erwartungen hatten die Niederländer nicht, außer ans Ziel zu kommen. Das schafften sie nach 3:29:12 Stunden und waren damit das langsamste Boot in der Wertung. „Wir haben nicht auf die Pauke gehauen, um uns schnell zu machen. Wir sind ja nicht mehr die Jüngsten“, so der Mann von Jason Arnhem. „Wir wussten vorher auch nicht, dass das langsamste Boot in der Wertung eine Kiste Bier bekommt. Darüber sind wir richtig gerührt.“ Für ihre Rückkehr im Jahr 2024 versprachen sie, sich auf dem Rhein etwas mehr Mühe zu geben und die Kiste Bier selber mitzubringen.
Viele andere Bootsbesatzungen nahmen die Teilnahme nicht so tiefenentspannt, sondern legte ruderischen Ehrgeiz an den Tag. Das galt besonders für Matthias Auer, Tobias Gathmann, Henning Kalmbach, Philip Kaltenborn und Steuerfrau Eva Hoffmann (Stuttgart-Cannstatter Ruderclub von 1910), Michael Ehrl, Christian Klandt, Markus Müller, Stefan Verhoeven und Steuerfrau Laura Zabawa (Renngemeinschaft Bonner RV, Clever RC, GTRV Neuwied, Kölner CfW) sowie Evin Donnelly, Dave Mannion, Kenny McDonald, Gary O'Neil mit Steuerfrau Meike Hartung (Fermoy Rowing Club/Irland), diese drei Teams machten den Gesamtsieg beim 52. Rheinmarathon unter sich aus. Mit 2:13:35 Stunden sicherten sich die Stuttgarter den Gesamtsieg. Die Iren konnten sich nach 2:20:41 Stunden mit dem Sonderpreis für das schnellste ausländische Boot trösten.
Carolin Franzke, Lisa Heider, Paula Meyenburg, Marion Osthoff und Steuerfrau Hannah Bornschein (Renngemeinschaft Bonner RG, Kölner RV, Kölner-RC, RTK Germania Köln, Spvgg Scharnebeck) erhielten den Pokal für das schnellste Frauenboot. Sie waren 2:26:19 Stunden auf dem Rhein unterwegs.
So war der Rheinmarathon 2023 eine perfekte Mischung zwischen gelassen-legerem Breitensport und sportlichen Ambitionen. Genau das richtige für die Sportstadt Düsseldorf. „Eine solche Veranstaltung ist megawichtig für eine Sportstadt. Wir definieren uns eben nicht nur über den Spitzensport, sondern die Verknüpfung zwischen Breitensport und Spitzensport ist das, was eine Sportstadt voranbringt“, erklärte Oberbürgermeister Stephan Keller. „Aus dem Breitensport erwachsen dann immer wieder die Talente, die Spitzenleistungen erbringen. Insofern muss man beides immer zusammen denken. Ich bin dem Ruderclub Germania extrem dankbar, dass sie Jahr für Jahr diesen Marathon organisieren. Ich weiß, wie viel Aufwand dahintersteckt, wie viel freiwilliges Engagement und wie viele Menschen sich wochen- und monatelang darauf vorbereiten, dass es für die Athletinnen und Athleten so wunderbar klappt. Dafür kann man als Oberbürgermeister nur Danke sagen. Und auch weiter so.“