Bielig und Woldt im Interview: Schritte, die wir diese Saison gehen müssen, müssen größer sein
Passend zum Saisonstart haben wir mit Cheftrainerin Brigitte Bielig und Sportdirektor Mario Woldt noch einmal über die Kritik und Problematiken der vergangenen Wochen gesprochen und die wichtigsten Themen erläutert.
Stützpunkttraining
Woldt: Wir wissen um die Bedenken der Aktiven hinsichtlich einiger Stützpunkte bei uns im Verband. Der Stützpunkt Hamburg/Ratzeburg wird aktuell komplett umgebaut und modernisiert. Deshalb wird auch nicht das komplette Disziplintraining des Männer-Skull-Teams dort absolviert, sondern vorerst nur bestimmte Blöcke. Wir gehen davon aus, dass die Arbeiten im Frühjahr abgeschlossen sind und die Ruderinnen und Ruderer dort dann optimale Trainingsbedingungen vorfinden werden. Bezüglich der Essensthematik haben wir eine Ernährungsberaterin kontaktiert, die sich die Speisepläne dort angeschaut hat. Am Stützpunkt Berlin war über das Frühjahr und den Sommer hinweg die Köchin krankheitsbedingt ausgefallen, sodass die Sportlerinnen auch auf das mit dem Fahrrad zehn Minuten entfernte Schwimmbad ausweichen mussten. Das war nicht optimal, aber machbar. Mittlerweile ist die Köchin aber zurück und eine gute Versorgung am Stützpunkt ist gesichert.
Bielig: Was das generelle Training am Stützpunkt angeht, bleiben wir unserer Linie treu. Um in den Mittel- und Großbooten international erfolgreich zu sein, müssen wir gemeinsam an einem Ort trainieren. Darin geben uns die Athletinnen und Athleten in den individuellen Gesprächen auch immer wieder Recht.
Bildung des Doppelzweiers:
Bielig: Mittlerweile haben wir gute Gespräche mit Marc Weber geführt und uns da definitiv angenähert. Nach internen Rücksprachen haben wir uns darauf verständigt, dass, wenn sich regional ein Doppelzweier wie zum Beispiel Marc Weber und Jonas Gelsen in Frankfurt bildet, dieses Boot dort bis auf die Stützpunktmaßnahmen auch trainieren kann. Am Ende wird nach Leistung entschieden – die schnellste Kombination setzt sich durch.
Kritik an der Kommunikation:
Bielig: Wir wissen, dass in der Vergangenheit vieles kommunikativ nicht optimal gelaufen ist. Uns ist es wichtig, die Athletinnen und Athleten zu Wort kommen zu lassen und auch deren Sicht der Dinge zu hören und zu verstehen. Deshalb haben wir in diesem Jahr auch so viele Gespräche wie noch nie geführt. Man muss aber auch offen und ehrlich sagen, dass die individuellen Befindlichkeiten im Vergleich zu vor einigen Jahren zugenommen haben und dies die Arbeit deutlich erschwert. Wir müssen nun endlich ins Machen und dem notwendigen Training kommen!
Woldt: Die Aktivensprecher haben zuletzt einen Fragebogen aufgesetzt und an alle Bundeskader verschickt. Die Ergebnisse sollen nun ausgewertet und dann gemeinsam mit den Verantwortlichen aus dem Leistungssport besprochen werden. Diesen Ansatz begrüßen wir sehr – wir halten ihn für zielführender als die über die Medien geäußerte Kritik. Auf diesem Weg können wir alle mitnehmen und darauf die Entscheidungen im Sinne der Leistungssportentwicklung der Mannschaften aufsetzen.
Mangelnde Erfolge:
Bielig: Der Begriff Umbruch begleitet uns schon die gesamte Saison. Viele Olympioniken haben ihre Karriere beendet oder ein Pausenjahr eingelegt. Das hat die Bootsbildung in dieser Saison sicherlich erschwert. Der Abwärtstrend ist aber schon deutlich länger erkennbar. In den vergangenen Jahren wurde hauptsächlich in den Männer-Riemen-Bereich und nicht so viel in die anderen Disziplinen geschaut. Der Achter als Flaggschiff funktionierte gut und war erfolgreich. Doch in den anderen Bootsklassen ist dann leider viel liegen geblieben, was uns in gewisser Weise jetzt auf die Füße fällt.
Woldt: Von den während des Pausenjahrs geförderten neun Sportlern kommen nun nur zwei zurück. Damit stehen uns insgesamt sieben Ruder:innen weniger auf der RoadtoParis zur Verfügung als zunächst geplant. Das erschwert es zusätzlich. Doch der „Umbruch“ im Leistungssport geht weit über das Ausscheiden bzw. den Wiedereinstieg von Athleten hinaus und kann nicht eindimensional hierauf reduziert werden. So gab es im vergangenen Jahr auch viele personelle Änderungen. Bis zum Sommer hatten wir keinen Referenten Leistungssport, die drei Spitzenfunktionen wurden mit Brigitte, Marcus und Adrian neu besetzt und auch Kay Winkert, unser wissenschaftlicher Koordinator ist in dieser Funktion neu dabei. Zudem begleiten uns die strengen Auflagen seitens des BVA immer weiter.
Personelle Aufstellung des Bereichs Leistungssport:
Woldt: Andere Nationen, wie zum Beispiel die Niederländer und Briten, haben zuletzt die Wissenschaft viel stärker eingebunden. Wir würden gerne einen Bundestrainer Diagnostik einstellen, aber da fehlt es uns leider an finanziellen Mitteln. Zudem können wir aufgrund der PotAS-Ergebnisse nicht mehr auf die Analysen des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig zurückgreifen. Das ist auch so ein Puzzleteil, das zum guten Ganzen am Ende fehlt.
Bielig: Was die Personalie Mario Woldt angeht, muss ich ihm hier mal deutlich den Rücken stärken. Vielen ist gar nicht bewusst, was der Sportdirektor neben der reinen sportlichen Leitung auf der Agenda hat. Das ist ein sehr großer administrativer Teil, insbesondere im Bereich Finanzen und damit das Managen von vielen Begehrlichkeiten, die nicht immer leistungssportlicher Natur sind.
Was unsere Zusammenarbeit angeht, kann ich nur Positives berichten. Wir sind zuletzt gemeinsam in die Trainingslager gefahren, um dort vor allem die Gespräche mit den Sportler:innen zu führen. Mario arbeitet unermüdlich im Sinne der Entwicklung des Verbandes und bringt stetig neue Impulse ein. Es wäre zu diesem Zeitpunkt total falsch, wenn der Vorstand ihn nicht weitermachen lassen würde. Aber bis zu den Olympischen Spielen in Paris 2024 ist nicht mehr viel Zeit und es wird definitiv ein sehr schwieriger und anspruchsvoller Weg bis dahin. Doch wir können diesen nur erfolgreich bestreiten, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht und uns in Ruhe unsere Arbeit machen lässt. Das war ja unter anderem eine große Kritik von Christian Felkel, der sein Amt als Bundestrainer vor dem eigentlichen Antritt schon wieder aufgegeben hat. Nach Paris 2024 wird dann abgerechnet.
RoadtoParis:
Woldt: Schon im kommenden Sommer findet die so wichtige Olympia-Quali statt. Nach der Trainingspause hat das Stützpunkttraining mittlerweile überall begonnen. In Berlin und Hamburg wird seit Anfang letzter Woche trainiert, Dortmund ist aufgrund des SH-Netzcups eine Woche später eingestiegen. Studien- und ausbildungsbedingt sind noch nicht alle Sportler:innen an den jeweiligen Stützpunkten, das wird sich ab November aber ändern.
Bielig: Als erste Maßnahme steht Ende November bereits die Langstrecke Dortmund auf dem Programm. Im Januar und Februar geht es in verschiedene Trainingslager. Die Bootsbesetzungen sollen dann anhand der Ergebnisse der Kleinbootmeisterschaften sowie den weiteren Leistungstests frühzeitig feststehen, damit wir dann nicht so ein Wechselspiel wie in der vergangenen Saison haben. Hierauf folgen die Trainingslager für den ausgewählten Kreis, sowie die spezifischen disziplinorientierten Leistungsüberprüfungen. Diesen Weg werden wir eng mit unserem Wissenschaftskoordinator begleiten, so dass wir schnell und transparent die notwendigen Schlüsse ziehen können. International werden wir dann die gebildeten Mannschaften das erste Mal zu den Europameisterschaften (25.-28. Mai 2023) in Bled testen.
Zur Bootsbildung
Bielig: Die Großbootbildung im A-Bereich werden wir anhand der individuellen Leistungsentwicklung vornehmen, so wie wir das schon jahrelang erfolgreich im Nachwuchsbereich anwenden. Es werden Rankings erstellt, die den Sportler:innen transparent Entscheidungen der Bootsbesetzungen verdeutlichen. Ebenso werden wir Mindestnormen im Ergobereich ansetzen müssen, um unsere physiologischen Parameter zu verbessern. Dazu werden zu Beginn der Saison, noch in 2022, persönliche Gespräche durch die Bundestrainer geführt, in denen Trainer:in und Athlet:in gemeinsam inhaltlich individuelle Zielorientierungen vereinbaren. Diese sollen dann ausgerichtet bis auf das Jahr 2024 sein. Es muss aber Trainer:innen wie Sportler:innen klar sein, dass die Schritte, die wir in diesem Jahr gehen müssen, größer sein müssen, als in den letzten Jahren, damit wir die begehrten Quali-Plätze zur WM 2023 erreichen.
Trainingsmethodisch werden wir unser Vorgehen weiterhin an der TMGK ausrichten. Wenn wir diese definierten Umfänge und Kilometer sowie die Leistungsziele wirklich erreichen könnten, dann bin ich 100-prozentig überzeugt, dass wir auch wieder erfolgreich international mitrudern können.
Wenn wir über den Gartenzaun nach Großbritannien oder in die Niederlande schauen, liegt der Schlüssel des Erfolges in einer gemeinsamen, systematischen Trainingsarbeit, mit viel Unterstützung durch die Wissenschaft und konsequenter Abforderung von Leistungen und nicht viel Hokuspokus drumherum.
Ob uns nun auf einmal nur noch das polarisierte Training oder Höhentraining voranbringt, wage ich zu bezweifeln, da fehlt uns die ausreichende Erfahrung in den Gruppen und wie einzelne Sportler darauf reagieren. Darüber hinaus ist eine adäquate Gestaltung des Höhentrainings in der heutigen Zeit immer schwerer finanzierbar. Vielleicht sind solche Versuche mal der Mühe wert, es auszuprobieren. Wir haben aber in unserer derzeitigen Situation einfach nicht die Zeit dazu.
Woldt: Da kann ich Brigitte nur zustimmen. Aufwand und Ertrag – hieran müssen wir stets unser Handeln optimieren.