Interview mit Brigitte Bielig: Abschied vom Traumberuf
Vor Weihnachten hat Brigitte Bielig noch viele Termine absolviert, obwohl sie eigentlich schon Resturlaub abfeierte. Immerhin, einige Weihnachtsmarktbesuche waren schon drin. Zum 31. Dezember 2024 endet ihre Amtszeit als DRV-Cheftrainerin, ihre Nachfolge ist noch offen. Die 67-Jährige stammt aus Brandenburg an der Havel und wurde in der Schule zum Rudern beordert. Nach dem Studium der Sportwissenschaften trat sie bereits mit 25 Jahren in Dresden ihre erste Stelle als Trainerin an. Nach der Wende bewarb sie sich beim DRV und fing 1991 dort an zu arbeiten. Sie war Leiterin des Bundestützpunktes Dresden, führte drei Boote zu olympischem Silber, arbeitete viele Jahre verantwortlich im Nachwuchsbereich und die letzten drei Jahre als Cheftrainerin. Bielig lebt in Burkau nordöstlich von Dresden. Zum Abschied haben wir mit ihr gesprochen.
Brigitte, Du hattest bei vier Olympischen Spielen schon Boote betreut, aber deine Heimat dann im Nachwuchsbereich gefunden. Insgesamt 14 Jahre lang warst Du verantwortlich für U23 oder U19, teilweise auch für beide Bereiche. Dann kam im Oktober 2021 das Angebot, nach der Kündigung von Christian Felkel in sportlich schwierigen Zeiten Cheftrainerin zu werden. Hast Du es irgendwann in den letzten drei Jahren mal bereut, zugesagt zu haben?
Brigitte Bielig: Das nicht, aber ich bin ein wenig blauäugig eingestiegen. Ich dachte, wenn ich die Trainer alle gewinnen kann, dann läuft es auch mit den Sportlern. So kannte ich das vom Nachwuchsbereich. Aber so einfach war das in der Praxis im A-Bereich nicht. Wir haben drei Leitstützpunkte, alle mit einer eigenen Historie und eigenen Verfahrensweisen. In ein gemeinsames Vorgehen wollte sich nicht jeder sofort einordnen. Dazu kommt, dass die olympische Periode wegen der Verschiebung von Tokio nur drei Jahre lang war. Ein Jahr mehr hätte uns gutgetan, um den Prozess voranzubringen, und wahrscheinlich wären dann auch die Ergebnisse in Paris besser gewesen.
Waren die letzten drei Jahre als Chefin im A-Bereich also die Aufreibendsten deiner Trainerinnen-Laufbahn?
Der A-Bereich, wo Du als Cheftrainer alles überschauen musst, beansprucht einen schon sehr. Geholfen hat mir, dass die Zusammenarbeit mit Markus Schwarzrock als im Umgang mit den Sportler:innen erfahrenen U23-Verantwortlichen und Adrian Bretting als konzeptionell starkem Einsteiger im U19-Bereich recht gut war.
Wie weit bist Du letztlich mit deinem Ansinnen, die Kultur der Zusammenarbeit zu verbessern, gekommen?
Sie hat sich verbessert, aber ich dachte, wir machen größere Schritte. Aber nicht jeder Trainer, der sich in seinem Bereich eingerichtet hatte, wollte sich bewegen. Und die letzten drei Monate meiner Zeit als Cheftrainerin, das muss ich sagen, waren nicht schön. Dass mit Mario und mir beide Führungspersonen vor dem Abgang standen, war nicht gut und hat intern für Verunsicherung gesorgt. Die Gerüchteküche brodelte, es gab Querschüsse. Die Umstrukturierung im Trainerbereich, die wir entsprechend dem Auftrag des Vorstandes zum Start der neuen olympischen Periode entwickelt hatten, konnten wir wegen großer Widerstände nicht zur Gänze so umsetzen, wie wir uns das vorgestellt hatten.
Also fällt dein persönliches Fazit eher gemischt aus?
Im Nachwuchsbereich war es einfacher zu arbeiten, das hat viel Freude gemacht. Aber ich bin trotzdem froh, dass ich die Erfahrung als Cheftrainerin gemacht habe. Der A-Bereich war mir ja auch nicht unbekannt. In meinen Jahren als Bundesstützpunktleiterin in Dresden hatte ich auch Boote in der Nationalmannschaft betreut (Anm. d. Red.: drei Silber-Medaillen bei den Olympischen Spielen 2000 und 2004 mit dem Leichtgewichts- und dem schweren Doppelzweier der Frauen). Damals war das Konkurrenzdenken der Trainer untereinander sehr groß, nötige Veränderungen wurden blockiert, das vorhandene Knowhow hätte man viel besser nutzen müssen. Deshalb habe ich 2007 sofort Ja gesagt, als mir die Position des übergreifenden Bundestrainers U19 angeboten wurde.
Mit Mario Woldt, der am 30. November als Sportdirektor ausgeschieden und an die Ruderakademie nach Ratzeburg gewechselt ist, hast Du in den letzten drei Jahren eng zusammengearbeitet. Was schätzt Du an ihm?
Mit Mario habe ich sehr gerne zusammengearbeitet. Es war sehr konstruktiv, er hatte stets gute Ideen. Mario hat meine sportfachlichen Aspekte immer aufgenommen und den finanziellen Rahmen dafür gesichert.
Du hast die Cheftrainer-Position nach dem Olympischen Spielen in Tokio in einer Phase der großen sportlichen Ernüchterung übernommen. In Paris blieb es zwar auch bei zwei Medaillen, aber die Perspektive für die nächsten Spiele 2028 in Los Angeles wird als positiv beurteilt. Welche Maßnahmen haben gegriffen?
Vor meiner Zeit hatten sich die Disziplinen verselbstständigt. Wir haben die Strukturen besser geführt, wir haben neue Nominierungskriterien eingeführt, wir haben mehr mit den Sportlern gesprochen, wir haben einen Trainer-Rat neu installiert, wir haben die Möglichkeiten der DOSB-Führungsakademie genutzt. Insgesamt wurde finanziell und ideell viel investiert. In Paris waren wir nur mit sieben Bootsklassen vertreten, aber vier waren im A-Finale. Es war klar, dass es nur in kleinen Schritten vorangehen kann.
Trotzdem hat es zu einer weitaus besseren PotAS-Bewertung für den DRV gereicht als bei der letzten Runde, was zu einem erhöhten Leistungssport-Budget führen dürfte.
Ja, das stimmt. Wir haben verbesserte Strukturen geliefert, wir haben einen positiven Trend in den Ergebnissen und auch im Zukunftspotenzial. Letztes Mal waren wir in der PotAS-Analyse der Sommersportverbände auf Rang 22, jetzt dürften wir noch unter die Top Ten kommen. Adrian Bretting, Mario Woldt, unser Wissenschaftskoordinator Kay Winkert und der Trainerrat haben intensiv an unseren Unterlagen gearbeitet.
Der physische Nachholbedarf gegenüber mittlerweile erfolgreicheren Ruder-Nationen war Dein großes Thema, das viele zunächst nicht hören wollten. Wie siehst Du die Entwicklung bis heute?
Wir haben uns verbessert. Leichten Druck muss man im Hochleistungssport schon ausüben. Es war ein Denkprozess bei vielen Sportlern und Trainern nötig. Das Ergometerfahren ist aber nun mal eine wichtige Grundlage, international ganz vorne dabei sein zu können. Erschwerend kam vor allem im Nachwuchsbereich dazu, dass viele verschiedene Rudertechniken aufgetreten sind. Das macht das Zusammenführen von Mannschaften schwierig. Wir haben zwar unsere trainingsmethodische Grundkonzeption, aber manche Trainer haben ihre Arbeit trotzdem anders gestaltet. Dann kommt es zu Nichtnominierungen, über die zunächst große Verwunderung herrscht.
Was ist Dir auf die Nerven gegangen?
Schon einiges. Der DRV bräuchte gegenüber dem Leistungssport ein viel stärkeres Wir-Gefühl. Angefangen beim Präsidium, das allen Hauptamtlichen, besonders auch den Trainern, den Rücken stärken sollte, gerade in sportlichen Krisenzeiten. Von den sogenannten Ruderexperten in Deutschland – ich denke da an Vereinsfunktionäre, LRV-Vorstände, Vereinstrainer oder regionale Medien – wird leichtfertig negative Stimmung gemacht. Es sollte besser recherchiert werden, bevor man Meinungen nach außen trägt, aber auch viel mehr Vertrauen in die hauptamtlichen Mitarbeiter geübt werden. Mich hat es genervt, ständig zu an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen Stellung in der Öffentlichkeit nehmen zu müssen, so etwas bindet zu große zeitliche Kapazitäten. Und manchmal war es wirklich, wie mit ´ewig Gestrigen` zu reden.
Was müsste sich ändern im deutschen Sport?
Deutschland muss den Sport reformieren. Dazu brauchen wir ein Sportgesetz, eine effizientere Struktur im Hochleistungssport, eine akademische Ausbildung der Trainer und eine bessere Bezahlung der Trainer und des Leistungssportpersonals.
Der DRV-Ehrenvorsitzende Siegfried Kaidel hat Dich beim Rudertag in Halle, als Dir die Plakette für besondere Verdienste verliehen wurde, dafür gelobt, dass Du immer bereit seist für das Neue. Ist das erarbeitet oder ein Wesenszug, der Dir in die Wiege gelegt wurde?
Ich war immer jemand, der viel lernen wollte, der gerne über den Tellerrand gesehen hat. Und der auch seine Meinung gesagt hat.
Ich bin aber natürlich auch sehr dankbar, dass mir der DRV die Möglichkeit gegeben hat, meinen Traumberuf über so viele Jahrzehnte ausüben zu können und wollte Vieles zurückgeben.
Gibt es Schützlinge aus mehr als vier Jahrzehnten im Trainerberuf, mit denen Du heute noch eine besondere Verbindung hast?
Na klar. Viele sind auch zu meiner Ausstiegsparty in Burkau gekommen. Ganz eng bin ich mit Peggy Waleska, heutige Schuster, die jahrelang im Doppelvierer saß und auch den Einer probiert hat. Mit Claudia Blasberg, meiner „Leichten“, die ich viele Jahre betreut habe, und die heute in der Schweiz lebt, mit Dirk Schildhauer, Enrico Schnabel und mit Jörg Dießner. Das ist schon immer sehr nett, wenn wir uns mal treffen. Obwohl sie mir immer sagen, wie streng ich als Trainerin gewesen sei. Wenn ich dann widerspreche, heißt es: ‚Doch, doch…`
Für Dich und deinen Mann Bernd, der ja selbst als Trainer und Geschäftsführer des Landesverbands Sachsen tätig war, hat sich immer alles um das Rudern gedreht. Ab Neujahr hast Zeit für Anderes. Was könnte das sein?
Darüber grüble ich seit einem halben Jahr. Die Idee von einer Katzenpension habe ich schon aufgegeben, aber im Tierheim zu helfen, das würde mir gefallen. Es gibt auch Anfragen aus dem Rudern, ob ich mit meiner Expertise helfen könnte. Dem bin ich nicht abgeneigt, ohne zu tief einsteigen zu wollen. Ich muss aber daran arbeiten, meiner Familie Zeit zurückzugeben, meine Tochter und meinen Enkel öfter zu sehen. Und in unserem Freundeskreis, den bisher vor allem mein Mann gepflegt hat, präsenter zu sein.