Bei strahlendem Sonnenschein präsentierte sich die Regattastrecke am heutigen Finaltag in Vaire-sur-Marnes. Acht Grad heißer als gestern und windiger, doch die Stimmung ist hervorragend. Die Ruderer und Ruderinnen sind bereit, ihre letzten Kräfte zu mobilisieren und um die Medaillen zu kämpfen.
Spannung im Mixed Doppelzweier
Schon vor dem Start des Zweier-Rennens gibt es die ersten Schmunzler: Die beiden deutschen Athleten, Jan Helmich (RC Hansa Dortmund) und Hermine Krumbein (RK Normannia Braunschweig), lächeln, als der Schiedsrichter wieder einmal Hermines Namen falsch aufruft. Doch sobald der Startschuss fällt, sind die beiden voll fokussiert. Der Start gelang ihnen hervorragend! Australien, Deutschland und Großbritannien setzten sich kurz vor der 500-Meter-Marke leicht ab. Die Deutschen liegen auf Platz drei, dicht hinter den führenden Booten.
Bei der 1000-Meter-Marke waren die beiden ein wenig zurückgefallen. Können sie noch in den Kampf um Gold und Silber eingreifen? 300 Meter vor dem Ziel mobilisierten sie ihre letzten Reserven. „Hermine macht ernst“, ruft der Kommentator des Livestreams Jonas Schützeberg, als die beiden den Endspurt einleiten. Es wird ein dramatisches Finish mit Großbritannien! Deutschland wird dritter, Großbritannien wird zweiter. Sieger wird Australien.
Nach dem Rennen sprachen die beiden ausgelassen über ihre Leistung. „Wir haben alles gegeben, die anderen waren am Ende besser“, erklärt Krumbein. „Natürlich fühlt sich eine Medaille mega cool an.“ Vor dem Interview fragt Helmich scherzhaft: „Passen die Haare?“ Die gute Laune bleibt, trotz der knappen Entscheidung. „Wir haben gezeigt, was wir können. Wir haben alle Körner auf dem Wasser gelassen. Dass es am Ende nur Bronze gewesen ist, war wirklich eine Millimeter-Sache, aber nichts, worüber wir traurig sein müssen,“ fügt er hinzu.
Drama im Vierer mit Steuermann
Das nächste Rennen war der Mixed-Vierer mit Steuerfrau. Susanne Lackner, Valentin Luz, Marc Lembeck, Kathrin Marchand und Steuerfrau Inga Thöne (Mannheimer RV Amicitia, Frankfurter RG Germania, beide RTHC Leverkusen und Ulmer RC Donau) lagen konzentriert am Start.
Von außen sah es so aus als verliefe der Start alles andere als ideal – das deutsche Team lag zunächst auf dem letzten Platz. Doch der Abstand zu den anderen Booten war minimal, alles war dicht beisammen. Nach nur 30 Sekunden waren alle Boote fast gleichauf – eine Situation, die es so noch nie gegeben hat, wie der Kommentator im Livestream aufgeregt betont. Inga Thöne, die Steuerfrau, war im Livestream zuhören. Das deutsche Boot lag nun auf dem vierten Platz, hinter Großbritannien, den USA und Frankreich. Eine halbe Bootslänge trennte sie von der Bronze-Medaille – doch der Abstand würde kleiner. Kurz nach der 750-Meter-Marke zogen die Fünf an Frankreich vorbei und sicherten sich vorerst den dritten Platz. Bei der 1000-Meter-Marke hatte Frankreich den Vorsprung zurückerobert und lag vier Zehntelsekunden vor Deutschland. Großbritannien führte mit einer halben Bootslänge vor den USA. Frankreich und Deutschland kämpften um jeden Meter und waren fast gleichauf.
Bei 1500 Metern lag das deutsche Team wieder auf dem vierten Platz, eine halbe Länge hinter Frankreich. Doch sie gaben nicht auf, der Abstand wurde erneut kleiner und bei 1750 Metern waren sie wieder auf einer Höhe mit den Franzosen, die Schlagzahl stieg dramatisch an. Es war ein packender Moment, als die beiden Boote fast gleichzeitig die Ziellinie erreichen – ein extrem knappes Fotofinish entscheidet über die Platzierung.
Es wird der undankbare vierte Platz. Das Podium füllen Großbritannien, USA und Frankreich. Das kommentierte Ralf Müller, der Bootstrainer wie folgt: „Vor allem wenn es so knapp ist, mit sechs Hundertsteln – das ist bitter. Aber man muss auch dazu sagen: Der Kampf um die Bronzemedaille war schon sehr, sehr großer Sport. Die beiden Medaillen für Gold und Silber waren abgeklingelt und dahinter war es eben ein richtig schönes, großes Kino-Rennen, so nach dem Motto: Keiner gibt sich geschlagen. Auf der Strecke war das Ganze geklärt, und ich würde mal sagen, wir haben das nicht im Endspurt verloren. Sehr schnelle letzte 500 Meter sind wir auch gefahren. Ich glaube, auf den dritten 500 Metern haben wir’s liegen lassen. Da war dann manchmal auch gleich sogar eine Sekunde weg, und wenn’s so eng ist, kann man nicht genau sagen, wo es liegen geblieben ist. Mir scheint, dass es auf den dritten 500 war.
Da muss man einfach ein fairer Verlierer gegenüber den Franzosen sein. Ich ziehe aber vor meinem Team den Hut. Alle wissen, was da in den letzten Monaten an Widrigkeiten zu bewältigen war. Wir mussten uns da wirklich zurückkämpfen, nach dem Wettkampf in Poznan. Das ist uns in diesem Rennen auch geglückt. Wir sind zwar dieses Mal nicht belohnt worden – um sechs Hundertstel – jetzt weinen wir halt ein bisschen, sonst hätten die Franzosen vielleicht geweint. Aber so ist der Sport halt. Und wir sagen jetzt: Respekt vor den Franzosen, und wir waren aber auch gut!“
Ein unerwarteter Abschied und ein packendes B-Finale
Der Finaltag in Vaire-sur-Marnes begann mit den B-Finals, in denen auch ein deutsches Boot an den Start ging: Marcus Klemp vom ORC Rostock im PR1 Männer-Einer. Heute waren die Bedingungen genau nach seinem Geschmack – der heiß ersehnte Gegenwind spielte ihm so richtig in die Karten. Wie erwartet kam Klemp nicht besonders schnell aus dem Startblock, doch bereits nach 200 Metern lag er auf Platz zwei. Schlag für Schlag kämpfte er sich näher an den führenden Spanier Javier Garcia Martines heran, bis er schließlich an ihm vorbeizog.
Mit den Bedingungen kam der 42-Jährige hervorragend zurecht und man konnte ihm den Spaß am Rennen regelrecht ansehen. Bei der 500-Meter-Marke führte er bereits mit einer Dreiviertellänge und sein Vorsprung wuchs stetig weiter. Am Ende gewann Klemp souverän das paralympische B-Finale in Paris vor dem Spanier Martines, dem Japaner Takuya Mori und dem Kanadier Jacob Joseph Wassermann. Ein versöhnlicher Abschluss für den Einer-Fahrer, der nach dem Rennen begeistert sagte: „Ich hab noch nie so viele Menschen auf einer Tribüne gesehen, die da für Para-Rudern hingegangen sind und das fühlt sich einfach fantastisch an. Man hört es schon von weitem, wenn man da ankommt. Das ist so richtig Gänsehaut und was ganz Besonderes! Es ist natürlich schade, dass es nicht bei den ganz großen Jungs war, aber ich bin jetzt schon zufrieden und es tut gut, dass der ganze Druck abfällt.“
Am späteren Nachmittag wurde bekannt, dass der Italiener Perini aufgrund der Nutzung von nicht erlaubten, elektronischen Kommunikationsmitteln während des Rennens, disqualifiziert wurde, somit rückt Marcus Klemp auf Platz sechs.
Während Marcus Klemp seinen Sieg im B-Finale feierte, sorgte eine andere Nachricht für Aufsehen: Jochen Weber, langjähriger Trainer und ehemaliger Cheftrainer im Para-Rudern, gab überraschend seinen Rücktritt bekannt. Weber hatte 2019 die Position des Para Chefstrainers im Deutschen Ruderverband (DRV) übernommen, zu einer Zeit, als sich im DRV kaum jemand für das Para-Rudern interessierte. „Hätte er es damals nicht gemacht, gäbe es heute keine Para-Nationalmannschaft“, würdigt Marc Stallberg, der aktuelle Cheftrainer für Para Rudern, die Arbeit seines Vorgängers. „Er hat die Grundsteine gelegt und zum Beispiel Valentin Luz und Inga Thöne ins Team geholt.“
2021 legte er auf eigenen Wunsch die Position des Cheftrainers nieder und konzentrierte sich seitdem hauptsächlich auf seine Arbeit als Bootstrainer für Marcus Klemp. Zu den Gründen für seinen Rückzug aus der Para-Nationalmannschaft sagte Weber: „Ich habe den Spaß und das Vertrauen in das internationale System verloren!“
In den letzten drei Jahren widmete Weber viel Zeit und Energie der Betreuung von Marcus Klemp – ein Einsatz, der nun mit dem Sieg im B-Finale belohnt wurde. Im ZDF-Interview zeigte sich Klemp bewegt: „Ein bisschen wehmütig bin ich schon, das war, ich glaube, nach elf Jahren unser letztes gemeinsames Rennen. Das war sehr emotional! Danke Wolli!“, so Klemps liebevoller Spitzname für Jochen Weber.
Zwei lachende Augen, ein weinendes Auge
Marc Stallberg ist mit seinem Team zufrieden: „Der Tag der Finals war ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits freue ich mich unglaublich über Marcus Klemp und seinen Sieg im B-Finale. Durch die Disqualifikation des Italieners konnte er im Gesamtranking auf Platz sechs vorstoßen. Damit hat er sein Minimalziel erreicht, seine Leistung aus Tokio zu übertreffen. Ein lachendes, strahlendes Auge für diesen Erfolg!
Ein weiteres lachendes Auge gilt der Bronze-Medaille im Doppelzweier. Das Team hat Großartiges geleistet und sich diese Medaille wirklich verdient. Sie haben gezeigt, was in ihnen steckt und es war ein wunderbares Rennen.
Aber es gibt auch ein weinendes Auge – und das gilt dem Vierer mit Steuermann. Ich hätte dieser Mannschaft so sehr eine Medaille gewünscht. Sie waren so nah dran und die Enttäuschung bei ihnen und bei mir ist natürlich groß. Doch wenn ich zurückblicke, bin ich unglaublich stolz auf das, was die gesamte Mannschaft in den letzten Jahren geleistet hat. Dass wir heute mit diesen Leistungen und einer Medaille nach Hause fahren können, das hätte vor drei Jahren niemand zu träumen gewagt.“
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Paralympische Spiele Paris 2024