50 Jahre nach den Olympischen Spielen in München findet ab Donnerstag (11. August 2022) auf den Wettkampfstätten von einst ein großes Multisportevent statt. Bei den European Championships ermitteln neun olympische Sportverbände in zehn Tagen ihre Europameister. ARD und ZDF widmen dem Ereignis viel Sendezeit.
Auf der Olympia-Regattastrecke in Oberschleißheim werden gleich an den ersten vier Tagen (11. bis 14. August) die Wettbewerbe im Rudern ausgetragen. 553 Athleten aus 23 Nationen werden in 23 Bootklassen am Start sein. Die lange verfallende Anlage wurde von der Stadt München für die Championships mit neun Millionen Euro aufgehübscht. Bootsstege, Toiletten und der fünf Kilometer lange Rundweg wurden erneuert. Die Haupttribüne bleibt wegen baulicher Mängel gesperrt. Pläne für eine umfassende, rund 100 Millionen Euro teure Sanierung mussten wegen der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Sparzwänge der Stadt in die Zukunft verschoben werden. Der Freistaat Bayern macht seine Beteiligung an der Sanierung von der Einrichtung eines Olympia-Stützpunkts in Oberschleißheim abhängig.
Anders als bei der Premiere der European Championships 2018 in Glasgow tritt der Deutsche Ruderverband mit seinem stärksten Aufgebot an. Die DRV-Athletinnen und Athleten freuen sich auf ihr Heimspiel vor vielen Zuschauern und wollen die starke Medienpräsenz für sich und ihre Sportart nutzen. Fast alle Bootsklassen sind besetzt. Nur der leichte Frauen-Zweier kann nicht starten, weil es keine andere Meldung gab. Zu den EM-Medaillenanwärtern zählen vorab die wenigen deutschen Boote, die sich bei den Weltcups in dieser Saison in Szene setzen konnten: Oliver Zeidler (Frankfurter RG Germania) im Einer und der Deutschland-Achter bei den Männern, Alexandra Föster (RC Meschede) im Einer und Marie-Louise Dräger (Schweriner RG) im leichten Einer bei den Frauen. Doch auch andere DRV-Mannschaften sind ehrgeizig. „Wir wollen um eine Medaille kämpfen“, sagt beispielsweise die vom Frauen-Doppelzweier in den Doppelvierer gewechselte Pia Greiten (Osnabrücker RV).
EM in WM-Vorbereitung gut zu integrieren
„Wir sind mitten in einer Umstrukturierung und stehen in einem Aufbaujahr“, betont Chefbundestrainerin Brigitte Bielig. Wie immer nach Olympischen Spielen haben etliche bisherige Leistungsträger ihre Karriere beendet. Andere Stammkräfte legen ein Pausenjahr ein, um im Studium vorwärts zu kommen. So mancher junge Nachrücker muss sich an das geforderte Niveau im A-Bereich erst herantasten. Die Trainer probieren viel aus, zahlreiche Boote wurden seit dem Weltcup-Finale in Luzern umbesetzt. „Unser Saisonhöhepunkt ist eindeutig die Weltmeisterschaft im tschechischen Racice. Aber wir nehmen die EM mit ihrer großen medialen Präsenz sehr wichtig. Weil die WM erst spät in der dritten September-Woche stattfindet, ist die EM in die Vorbereitung gut zu integrieren“, sagt Bielig. Sie sei zudem ein „Schneideschwert“, was die WM-Nominierung angehe. „Ich hoffe, wir werden in Racice mit vielen Mannschaften starten können. Doch jeder Start kostet Geld und soll mit sportlicher Leistung untermauert werden.“
Sportdirektor Mario Woldt sieht das ähnlich: „Wir werden nach München die richtigen Schlüsse für die WM ziehen.“ Die Europameisterschaften hätten sich „in den letzten Jahren super entwickelt“, eingebettet in die European Championships seien sie „eine Riesen-Möglichkeit“ für das Rudern, sich auf einer großen Bühne zu präsentieren.
Für Skuller Oliver Zeidler ist die EM in München aus zwei Gründen „etwas ganz Besonderes“. Einmal ist Oberschleißheim sein Trainingsrevier, das er für sein „Super-Wasser“ rühmt. Zum anderen hat sein Großvater Hans-Johann Färber 1972 auf dieser damals nagelneuen Strecke mit dem sogenannten „Bullen-Vierer“ olympisches Gold gewonnen. Nach dem Rückschlag bei den Spielen in Tokio, als er sich mit dem Sieg im B-Finale genügen musste, ist Zeidler wieder gut in Form. Er gewann den Weltcup-Auftakt in Belgrad und die traditionsreiche Henley-Regatta, eine zehntägige Zwangspause danach wegen Krankheit habe er ohne Folgen weggesteckt. Zuletzt habe er sogar „so gute Zeiten“ gefahren, wie er sie im Standardtraining noch nie geschafft habe. Als EM-Titelverteidiger wird Zeidler in Olympiasieger Stefanos Ntouskos (Griechenland) und dem Olympia-Zweiten Kjetil Borch (Norwegen) auf erstklassige Konkurrenz treffen. Nach seinen Wettkämpfen will er das „Mini-Olympia“ nutzen und Wettkämpfe im Kanu und in der Leichtathletik ansehen.
Deutschland-Achter mit neuem Schlagmann
Im Neuaufbau steht der Deutschland-Achter. Das nach Tokio stark verjüngte Paradeboot muss in München eine Umstellung verkraften. Schlagmann Mattes Schönherr (RC Potsdam) fällt mit einer Rippenentzündung aus. Der erfahrene Torben Johannesen (RC Favorite Hammonia), der seit 2017 Mitglied des DRV-Flaggschiffs ist, übernimmt seine Position. Tom Tewes (Münchner RC), der eigentlich im Zweier ohne Steuermann in München antreten sollte, rückt auf Position sechs ins Großboot. „Wir freuen uns sehr auf die Heim-EM. Wir versuchen, das Abschneiden beim letzten Weltcup zu bestätigen und die Lücke zu Großbritannien weiter zu schließen“, sagt Steuermann Jonas Wiesen (RG Treis-Karden). In Luzern hatte man Rang drei hinter Großbritannien und Australien belegt, der Rückstand auf die Briten war allerdings beträchtlich. „Der Findungsprozess dieser jungen Mannschaft wird noch die ganze Saison lang weitergehen. Mit den Ersatzleuten ist das ein größerer Kreis, der lernt und lernt“, sagt Wiesen.
Auch im Frauen-Riemen-Bereich wurde über die Saison viel probiert und getestet. „Außer einer Sportlerin sitzt jetzt glaub ich jeder in einem anderen Boot und an einer anderen Position als den Rest des Jahres. Wir schauen jetzt einfach mal, wie weit der Achter nach vorne kommt. Wir hoffen natürlich, dass wir noch eine Bootsklasse für die WM empfehlen können, da unser Bereich bisher ja noch nicht so gut abgeschnitten hat“, so Marie-Catherine Arnold (Hannoverscher RC von 1880 e.V.), die in München zusammen mit Lena Osterkamp (DRC v. 1884 e.V.) im Zweier ohne sitzt. „Da wir noch nicht so lange gemeinsam im Zweier ohne fahren, gehen wir mit begrenzteren Erwartungen an den Start."
Marie-Louise Dräger (Schweriner RG) hat mit Oberschleißheim eine besondere Beziehung. Dort fuhr sie 1999 ihr erstes Leichtgewichtsrennen im Weltcup. „Schon lange her“, sagt Dräger. 2007 nahm sie zudem an der WM in München teil. Nach Rang drei im leichten Einer beim Weltcup in Poznań hofft Dräger, dass sie ihre letzte EM erfolgreich gestalten kann. Nach der WM im September will die 41-Jährige ihre aktive Karriere beenden.
Para-Team will an Poznań anknüpfen
Auch die Para-Nationalmannschaft ist in Oberschleißheim am Start. Bundestrainer Marc Stallberg sagt: „Bei uns ist die Situation etwas anders als im A-Bereich. Bei uns gibt es nicht so viele Rennen, in Luzern etwa waren keine Para-Wettbewerbe ausgeschrieben. Für die EM bereiten wir uns wie auf einen Weltcup vor. Unsere Athleten sind berufstätig und sie sind mit einem Schnitt von 30 Jahren auch älter als im A-Bereich.“ Stallberg hofft, dass die Athleten der Para Nationalmannschaft an das Abschneiden beim Weltcup in Poznań anknüpfen. Dort gab es einmal Gold und zweimal Bronze.
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