Es ist das Postkartenmotiv, das Bled bekannt gemacht hat: Die winzige Insel im kleinen See des slowenischen Kurorts, mit einer Kirche und einigen anderen Gebäuden malerisch bestückt. Die Teilnehmer der Europameisterschaften im Rudern, die von Donnerstag bis Sonntag (25. bis 28. Mai 2023) ausgetragen werden, passieren das Eiland kurz vor dem Ziel, aber einen Blick in die schöne Landschaft können sie kaum riskieren. Dass satte 560 Teilnehmer aus 33 Nationen hart um die Medaillen kämpfen werden, hat auch mit der vorolympischen Saison zu tun. Die EM ist für fast alle die erste Standortbestimmung Richtung Weltmeisterschaft im September, bei der dann die meisten Startplätze für die Olympischen Spiele 2024 in Paris vergeben werden.
„Wir werden auf sehr, sehr starke Konkurrenz treffen. Zwölf von 14 amtierenden Weltmeisterbooten sind am Start“, sagte Brigitte Bielig, die DRV-Cheftrainerin, bei einer virtuellen Pressekonferenz mit ihr und mehreren Sportlern. „Ich bin sehr gespannt, wie weit wir nach dem Aufbau in Herbst und Winter und der nationalen Nominierung vor wenigen Wochen sind. Und ich bin optimistisch, dass wir wesentlich besser aufgestellt sind als im letzten Jahr“, sagte Bielig weiter. Bei der EM 2022 in München hatte nur Einer-Ruderin Alexandra Föster mit Bronze eine Medaille in den olympischen Bootsklassen für den Gastgeber geholt. Ausgerechnet Föster fehlt aber in Bled, weil sie nach Verletzungsproblemen zu Jahresbeginn noch nicht wieder in der besten Verfassung ist. Der Frauen-Einer bleibt aus deutscher Sicht deshalb unbesetzt.
Dennoch stellt der DRV mit 17 Booten – darunter vier in den paralympischen Klassen – zusammen mit Großbritannien das größte Aufgebot. Pech hatte der Leichtgewichts-Doppelvierer der Männer, dessen Wettbewerb wegen zu geringer Meldungen gestrichen wurde. Als Bank auf eine Medaille gilt im Vorfeld ausschließlich Oliver Zeidler (Frankfurter RG Germania) . Der Einer-Weltmeister war vor gut zwei Wochen beim Weltcup in Zagreb siegreich in die Saison gestartet. Bei der EM trifft er nun auf deutlich stärkere Konkurrenz und hat sich, nachdem er in Zagreb aus dem Training heraus gefahren war, intensiv vorbereitet. Olympiasieger Stefanos Ntouskos (Griechenland), Kjetil Borch (Norwegen) und Sverri Nielsen (Dänemark) wollen Zeidler das EM-Gold streitig machen.
Frauen-Achter endgültig nominiert
„Es geht für uns sicher nicht darum, die Medaillen zu zählen“, sagte Cheftrainerin Bielig, „wir müssen kleinere Brötchen backen.“ Jedes Boot habe seine Zielstellung, die wolle man erreichen. „Nach der EM werden wir dann nochmals prüfen, wo Veränderungen nötig sind. Grundsätzlich sind wir aber gewillt, unseren Booten die nötige Zeit zu geben, sich einzufahren.“ Sich einfahren, das kann nun endgültig auch der Frauen-Achter, dessen EM-Nominierung nur vorläufig vorgenommen worden war. Bei einem Zusammenstoß mit einem Gig-Boot beim Training in Berlin hatten mehrere Ruderinnen Blessuren davongetragen. „Wir mussten abwarten, ob alle belastungsfähig sind. Aber der Achter hat regelmäßig trainieren können und die Vorbelastung zeigte gutes Niveau. So halten wir die Nominierung aufrecht“, erläuterte Bielig. Überraschend gibt es im Frauen-Achter mit vier Booten nur ein kleines Feld, aber Weltmeister Rumänien, Italien und Großbritannien sind starke Gegner für das deutsche Boot.
Der neue Frauen-Doppelvierer hofft auf ein gutes Debüt und kann sich auf „viel Erfahrung“ (Sarah Wibberenz) stützen. Pia Greiten (Osnabrücker RV), Frauke Hundeling (Deutscher RC Hannover) und Sarah Wibberenz (RC Havel Brandenburg) sind schon letzten Jahr bei der EM den Doppelvierer gefahren, bevor es durch Verletzungen zu Wechseln kam. Neu hinzu kam Tabea Schendekehl (RC Hansa Dortmund), die vom Riemen-Bereich zu den Skullerinnen stieß, aber mit Greiten und Hundeling schon früher im Achter saß. „Nur mit der Sarah bin ich noch nicht gefahren“, sagt Schendekehl, die am Schlag sitzt. „Wir haben uns gut zusammengefunden. Wer wo sitzt, war schnell klar.“ Durch die drei Wochen seit der Nominierung sei man „stabil gegangen“, ergänzt Wibberenz.
Männer-Achter sucht nach dem Anschluss
Im Deutschland-Achter mit Schlagmann Marc Kammann (Der Hamburger und Germania RC) und Max John (Olympischer RC Rostock) als neuen Gesichtern freut man sich auf die erste Bewährungsprobe. „Wir werden sehen, ob wir den Anschluss zu den europäischen Topbooten wieder gefunden haben“, sagte Wolf-Niclas Schröder (RU Arkona Berlin). Bei der EM letztes Jahr hatte das Großboot als Vierter eine Medaille verpasst, bei der WM hatte man sich mit dem Sieg im B-Finale begnügen müssen. Die neue Trainerin Sabine Tschäge ist noch auf der Suche nach der idealen Besetzung. „Unsere Positionen sind noch nicht eingeschliffen. Letzte Woche haben wir nochmals umgesetzt, wir sind noch am Ausprobieren“, verriet Schröder in der Pressekonferenz. Mehr Druck als in anderen Booten sieht er für sich durch den Mythos Deutschland-Achter nicht, dafür sei er zu jung: „Die großen Achter-Erfolge sind für mich persönlich nicht so präsent, als dass deswegen besonderer Druck da wäre.“
Jonathan Rommelmann (Crefelder RC) gibt sich nach Olympia-Silber in Tokio und einem Jahr Pause vor seinem internationalen Comeback gewohnt ehrgeizig. Für ihn und den sieben Jahre jüngeren Paul Leerkamp (Osnabrücker RV) ist es im Leichtgewichts-Doppelzweier in Bled zwar die erste gemeinsame Regatta, „aber natürlich wollen wir ins A-Finale fahren und an die etablierten Boote wie Italien heranschnuppern“, sagte Rommelmann. Die Kombination aus Erfahrung und jugendlicher Frische ist etwas Besonderes. „Paul legt sehr viel Wert auf meine Einschätzung. Wir haben beide unsere Stärken und Schwächen. Rudertechnisch muss ich manches nach dem Jahr Pause noch verfeinern. Im Wettkampf müssen wir uns erst kennenlernen, der ist etwas ganz anderes als Training.“
Guter Zusammenhalt im Para-Team
Auch im paralympischen Rudern bedeute die EM „eine Standortbestimmung bei einem überraschend großen Meldeergebnis“, sagte Cheftrainer Marc Stallberg. „Wir haben im Winter gut gearbeitet, ich bin voller positiver Spannung.“ Man habe viel bewegt in den letzten beiden Jahren, findet Stallberg. „Dass wir vier der fünf paralympischen Bootsklassen besetzen können, darum beneidet uns mancher.“ Das verlängerte Wochenende um Christi Himmelfahrt nutzte das Nationalteam, um am Stützpunkt Essen zusammen zu trainieren. „Das war sehr gut, wir konnten auch mal Relationsrennen fahren. Da wir alle berufstätig sind, trainiert ja sonst jeder für sich in seinem Verein“, sagte Manuela Diening (RV Münster). Die letztjährige EM-Zweite im Frauen-Einer der Klasse PR 1 (ohne Rollsitz, Kraft aus Armen, Schultern und oberem Rücken) sieht „einen guten Zusammenhalt im Para-Team, wir sind in den letzten beiden Jahren sehr zusammengewachsen“.
Zeitplan
Die Europameisterschaft beginnt am Donnerstag, Freitag und Samstag jeweils um 9 Uhr, am Sonntag geht es um 9.30 Uhr los. Am Samstag stehen bereits elf A-Finals auf dem Programm, darunter der Männer-Achter ab 13.36 Uhr. Am Sonntag beschließen die A-Finals im Frauen-Achter (13.48 Uhr) und im Männer-Einer (14.03 Uhr) die EM. Word Rowing überträgt am Samstag und Sonntag alle Rennen live im Stream auf seiner Webseite.